Digital und real (2) – ein Bloggespräch mit Sabria David

Vor fünf Jahren habe ich mit Sabria David mein erstes Bloggespräch begonnen. Damals noch im Blog von schwindt-pr. Unser Gespräch zum Thema “Digital und real” habe ich mit einigen anderen Artikeln hierher importiert und die Reihe thematisch erweitert. Inzwischen hat Sabria nicht nur weiter in Sachen digitalem Wandel geforscht, sondern auch ein Buch geschrieben (mehr dazu unten). Also haben wir beschlossen, unser Gespräch von damals noch einmal aufzugreifen und weiter zu führen:

Annette Schwindt

Liebe Sabria, in unserem Gespräch von 2015 haben wir uns darüber unterhalten, warum die digitale Kommunikation zwar teils anders abläuft als die analoge, dass aber die digitale Welt genauso real ist wie die analoge und das alte Klischee von Online vs. “richtiges Leben” nicht mehr zutrifft. Wir hatten uns digital literacy, also den selbstverständlichen verantwortungsvollen Umgang mit digitalen Medien als Schulfach und für die Gesellschaft überhaupt gewünscht. Jetzt in Zeiten der Pandemie mussten wir feststellen, wie fromm dieser Wunsch noch immer ist. 

Bevor wir darauf eingehen: Was hat sich Deiner Ansicht nach in den fünf Jahren seit unserem Gespräch schon zum Positiven, was zum Negativen entwickelt?

Aktiv mit Digitalisierung umgehen

Sabria David

Wir sind, denke ich, was Digitalisierung angeht, in Deutschland immer noch Entwicklungsland. Wir haben zwar smarte Kühlschränke, Autos, die für uns mitdenken und mitbremsen und viele Prozesse und Abläufe (Bank, Steuer, Heizungsablesen) sind digitalisiert – aber das ist rein auf technischer Ebene. Das ist nicht die Art von Digitalisierung, die ich meine. 

Was wir brauchen, ist Mut, Kreativität und eine auch ethische Reflektiertheit, die es uns ermöglicht, mit diesen Dingen auch vernünftig und konstruktiv umzugehen. 

Es fehlt in unserer Gesellschaft und in unserem Bildungswesen die Bereitschaft, sich dem Thema Digitalisierung nicht nur als passiver Konsument zu nähern, sondern als aktiver, reflektierender und souveräner Bürger. Als dieser ist man eben nicht nur Konsument von digitalem Schnick-Schnack, sondern man übernimmt seine Verantwortung und nutzt seinen Gestaltungsspielraum in punkto digitalem Wandel. Wenn wir alle nur Konsumenten bleiben, können wir keine gute digitale Gesellschaft aufbauen. 

Wie siehst Du das, liebe Annette? Kennst Du Beispiele, was sich in den letzten fünf Jahren in punkto Digitalisierung verbessert hat? Zum Beispiel Schulen, in denen digital literacy auf dem Plan steht?

Es mangelt weiter an Medienkompetenz

Annette Schwindt

Von solchen Schulen hab ich in Deutschland leider noch kaum gehört. Ich habe nicht das Gefühl, dass die allgemeine digital literacy signifikant gestiegen wäre. Viele denken, es brauchen nur alle ein Tablet, dann ist das Problem gelöst. Dass es auch eine neue Art von Unterricht braucht, geht unter.

Inzwischen haben zwar mehr Menschen von Twitter, Instagram und Co. gehört. Das allerdings vorwiegend im Zusammenhang mit der fortschreitenden Kommerzialisierung des Netzes, den berühmten “In zehn Schritten vom Bloggen leben” oder “…Influencer werden”. Oder in Verbindung mit Kriminalität und Fake News. 

Ich habe lange versucht, mehr Medienkompetenz unter die Leute zu bringen, musste aber irgendwann vor Erschöpfung die Segel streichen. Ich kam mir vor wie der Prediger in der Wüste. Ich redete und schrieb mir den Mund fusselig, während die Leute weiter denen hinterherrennen, die sie nur als Klickvieh benutzen oder an ihnen verdienen wollen.

Wie das Ganze funktioniert, wollen die meisten gar nicht wissen. Plattformen, Apps und Geräte sollen intuitiv benutzbar sein, ohne dass man sich auch nur um die Grundlagen zu kümmern braucht. Das erleichtert natürlich den Einstieg und die Nutzung, andererseits kann es auch gefährlich werden, weil zu unbedacht drauf los geklickt wird. 

Sollte man das nun ausschließlich von der Mündigkeit der Nutzer abhängig machen, oder sollten die Anbieter in die Pflicht genommen werden, bestimmte Standards zu erfüllen? Und wer legt die fest? Was passiert, wenn sie nicht befolgt werden? 

Das Netz nicht der Privatwirtschaft überlassen

Sabria David

Ich weiß auch nicht, was an Medienkompetenz so ein dickes Brett sein soll. Es ist doch klar, dass wir für eine digitale Gesellschaft auch entsprechende Kompetenzen und Fähigkeiten brauchen. 

Es gibt ja grade sehr viel Veränderung um uns herum. Aber egal wie sich unsere Welt in den nächsten Monaten und Jahren entwickeln wird – es wird eine digitale Gesellschaft sein, in der wir leben. Alle Bereiche unseres Lebens – das Arbeiten, das Privatleben, die Schulen, die Politik, die öffentliche Meinungsbildung – werden von Digitalisierung geprägt sein.

Das kann man gut oder schlecht finden, in jedem Fall aber hat es starken Einfluss auf unsere Gesellschaft. Ich finde es wichtig, dass wir uns dazu eine Meinung bilden, uns – bei aller Kritik – konstruktiv und verantwortlich damit auseinandersetzen. Denn nur wenn wir uns mit dem Thema befassen, können wir die Entwicklungen auch beeinflussen und gestalten. Wer sich aus dem Thema Digitalisierung heraushält, überlässt sie den reinen Marktmechanismen. Dann wird Digitalisierung nur dazu benutzt, um Gewinne zu maximieren, anstatt auch dafür, das Gemeinwohl zu fördern und Menschen miteinander in Verbindung zu bringen. 

Die Kommerzialisierung des Netzes ist – wie Du sagst – ein Problem. Wenn privatwirtschaftliche Plattformen mit der Verweildauer der Nutzer Geld verdienen, dann profitieren sie ja von empörten und aufschaukelten destruktiven Diskursen.

Wem gehört also unser digitaler öffentlicher Raum? Wer bestimmt, wer dort zu Wort kommt und sichtbar wird? Diese Frage spielt in meinem Ansatz eine zentrale Rolle, auch in meinem Buch befasse ich mich aus verschiedenen Perspektiven mit dieser Frage. Ich finde das ganz wichtig. 

Und die Versäumnisse, die Weigerung sich mit den Auswirkungen von Digitalisierung auf die Gesellschaft zu befassen, sind hier politisch besonders brisant. Öffentliche Meinungsbildung findet inzwischen größtenteils digital statt und welche Auswirkungen solche destruktiven, wirklichkeitsentkoppelten und emotionalisierten Diskurse haben, sehen wir ja grade in den USA. Die Bilder von diesen wütenden, angeheizten und zerstörungswilligen Menschen, die das Kapitol stürmen, haben mich wirklich geschockt. Diese Bereitschaft, die offensichtlichsten Lügen zu glauben, ohne jede kritische Mündigkeit – wie erklärst Du Dir das?

Kreativ werden statt nur reagieren

Annette Schwindt

In Zeiten großer Transformation ist es wohl immer so, dass die Menschen Angst vor dem Neuen, dem Unbekannten haben und sich deswegen nach jemandem sehnen, der ihnen einfache Antworten auf die überfordernde Komplexität der Welt gibt. Das wird dann gern ausgenutzt von Machtbesessenen, die vermeintlich auf ihrer Seite sind, in Wahrheit aber nur die Angst weiter schüren, ohne echte Antworten zu geben. 

Dabei wissen diese Manipulierer neue Medien geschickt zu nutzen und die Tatsache, dass die anderen das bisher versäumt haben. Leider trägt das zum Narrativ vom „bösen Internet“ bei, obwohl nicht das Medium das Problem ist, sondern die Menschen, die es missbrauchen. Dieses Narrativ wird von den alten Medien zusätzlich verbreitet, damit beschäftigt wird sich nur so weit wie es gerade unbedingt sein muss. Aber selten kreativ, sondern meist reaktiv. Und auch die Nutzer sind zum größten Teil nur Konsumenten, während nur ein kleinerer Teil wirklich aktiv Inhalte kommuniziert, die von der Mehrheit nur gelesen und von einigen weitergesagt wird. 

So war das Internet aber nicht gedacht. Eigentlich sollte es hier um seriöse Informationsvermittlung und Austausch von Wissen gehen. Dann kamen Entertainment und Marktwirtschaft dazu und jetzt haben wir den Salat. Jeder kann ungeprüft irgendwelche Behauptungen online stellen, egal ob Tatsachen oder Verschwörungstheorien. 

Die Masse der Konsumenten, die ja bereits kaum Offline-Medienkompetenz besitzt (oder wie erklärt man sonst all die Leser vom großen B?), sucht sich einfach das davon aus, was am besten in ihr Weltbild passt. Weil sie nicht gelernt haben, wie man Informationen einordnet, was ein Feed ist und wie man sich den richtig einrichtet, überlassen sie den Algorithmen das Filtern, beschweren sich aber gleichzeitig darüber, dass sie nicht das Gewünschte angezeigt bekommen. Und das verstärkt sich immer weiter. Erklärt man ihnen, wie Abhilfe geschaffen werden kann, lehnen sie das als zu anstrengend ab. Ein Teufelskreis… 

Wie können wir da raus finden? Mit den Schulen klappt es ja offenbar (noch?) nicht. Initiativen wie contractfortheweb.org sind höchstens unter uns Netzmenschen bekannt und Regeln wie bei Wikipedia gibt es eben nicht überall. Sollen wir auf gesetzliche Regelungen warten? Das könnte erst recht nach hinten losgehen, wie man an einigen völlig praxisuntauglichen Entscheidungen bereits sieht (ich erinnere z.B. an das Thema Uploadfilter)… 

Sich den digitalen Wandel zu eigen machen

Sabria David

Ich bin ja pragmatische Idealistin. Ich gehe davon aus, dass uns Corona – trotz all den surrealen Momenten und Monaten – auch eine Chance gibt: Endlich anzuerkennen, dass wir den digitalen Wandel zu unserer eigenen Sache machen müssen. Wir haben jetzt gesehen, dass uns das auf die Füße fällt, wenn Schulen und Unternehmen das Thema schleifen lassen. Und man sieht auch – und das ist eigentlich spannender -, dass Organisationen und Bildungseinrichtungen, auch Kommunen, die sich ihre Digitalisierung klug gestaltet haben, jetzt wahnsinnige Vorteile haben. Sie kommen besser und mit weniger Verschleiß durch die Krise, können besser reagieren und sich auf die Veränderungen einstellen. Ich sage mal: Corona war ein Weckruf aus dem digitalen Dornröschenschlaf. Im Jahr 2021 geht’s los! Du wirst sehen! 🙂

Annette Schwindt

Hoffen wir’s. Ich danke Dir, dass Du Dir die Zeit genommen hast, unser Gespräch von 2015 fortzusetzen. Mal sehen, was sich in ein paar Jahren getan haben wird. Wir können nur unseren Teil dazu beizutragen versuchen…

Wie sagte Amanda Gorman? 

For there is always light
If only we’re brave enough to see it
If only we’re brave enough to be it

Über meine Gesprächspartnerin

Die Medienforscherin und Autorin Sabria David ist Gründerin des Slow Media Instituts und stellvertretende Vorsitzende des Präsidiums von Wikimedia Deutschland. Sie ist Mitverfasserin des Slow Media Manifests und der Declaration of Liquid Culture und entwickelte das „Interaktionsmodell Digitaler Arbeitsschutz“. Ihr Konzept der Medienresilienz stellt sie in ihrem Buch „Die Sehnsucht nach dem nächsten Klick. Medienresilienz – wie wir glücklich werden in einer digitalen Welt“ vor, das bei Patmos-Verlag erschienen ist. – sabria-david.de

Foto von Sabria: Annette Schwindt
Avatar von Annette: tutticonfetti

In meiner Rubrik „Bloggespräche“ unterhalte ich mich mit einem Gegenüber über ein frei gewähltes Thema wie in einem Mini-Briefwechsel. Wer auch mal so ein Gespräch mit mir führen möchte, findet alle nötigen Infos dazu unter https://www.annetteschwindt.de/bloggespraeche/ und kann sich von dort direkt bei mir melden.


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