Zum Thema Minimalismus – Ein Bloggespräch mit Anna Koschinski

Dies ist der zweite Anlauf für einen Austausch mit meiner heutigen Gesprächspartnerin. Wir waren via Twitter aufeinander aufmerksam geworden, kennen uns aber bisher nicht näher. Beim ersten Versuch hatten wir auch nicht recht zusammengefunden, aber jetzt wollen wir‘s nochmal versuchen. Also los:

Annette Schwindt gezeichnet von tutticonfetti mit Kamera in der Hand, roter Brille und rotem Band im Haar und einem Herzchen in einer Sprechblase

Liebe Anna, wie schön, dass es jetzt doch noch geklappt hat. Magst Du kurz sagen, wie Du zu Deinem Themenvorschlag gekommen bist und was Dich am Format des Bloggesprächs reizt?

Immer nur Mehr funktioniert nicht

Kopf von Anna Koschinski mit zusammengebundenen braunen Haaren im dunkelgrauen Blazer

Liebe Annette, danke für die (nochmalige) Einladung, ich liebe ja Blogformate, die es so nicht überall gibt und finde die Idee großartig, eine Art „großen“ Chat auf dem Blog zu führen. Ich würde auch nicht sagen, dass ich dich nicht kenne, denn vor ein paar Jahren habe ich über Twitter gefühlt sehr viel von dir gelesen und gerade auch deine Bloggespräche verfolgt. Aber es stimmt natürlich, so richtig „kennen“ ist vielleicht zu viel gesagt.

Das Minimalismus-Thema ist eins, das mich schon länger bewegt und ich glaube, dass es mit Blick auf den Klimawandel aktueller denn je ist. Mehr, mehr, mehr funktioniert so nicht mehr, wenn wir diese Erde nicht völlig zerstören wollen. Es gibt also diese gesellschaftliche Ebene daran, aber auch eine individuelle. Denn viele Menschen in meinem Umfeld sehnen sich nach „weniger“. Weniger Dinge, weniger Projekte, weniger To-dos, weniger Verpflichtungen, weniger Termine… weniger von allem. Es scheint, als erdrücke Besitz manche Menschen. Und vom Thema Besitz kommt man dann schnell zu der Frage, was eigentlich wirklich wichtig ist.

Hast du auch manchmal das Gefühl, vom „zu viel“ erdrückt zu werden?

Weglassen statt Verzichten

Annette Schwindt gezeichnet von tutticonfetti mit Kamera in der Hand, roter Brille und rotem Band im Haar und einem Herzchen in einer Sprechblase

Ach, das wusste ich nicht, dass Du mir schon länger folgst. Vielen Dank dafür! Das ist ja immer das Ding mit den Followern: Sie kriegen Deine Sachen mit, aber Du weißt umgekehrt nicht, wer sie sind. Deswegen hatte ich zu schwindt-pr-Zeiten mal eine Interviewreihe gemacht, bei der sich die Follower vorstellen konnten. Kam gut an und war für mich spannend zu erfahren, wer mir so folgt. 

Aber zurück zum Thema: Fühl ich mich erdrückt? So krass würde ich es nicht sagen. Aber ich sortiere regelmäßig aus und versuche dann noch was Sinnvolles mit dem Aussortierten anzustellen. Ansonsten muss ich zu meiner Schande gestehen, dass ich nach einer konsumarmen Zeit während der Pandemie wieder angefangen habe, auch mal zu kaufen, was ich nicht unbedingt brauche. Da muss ich mich echt wieder zurückfahren.

Meine Freundin Ute hat mal den schönen Denkanstoß gepostet, was wäre, wenn man statt von Verzichten von Weglassen sprechen würde. Also statt zu jammern, man würde was weggenommen bekommen, selbst zu bestimmen, wo man sich für weniger entscheidet. Aktion statt Reaktion.

Aber das setzt halt eine gewisse Reflektiertheit voraus, die leider nicht jeder hat. Das Status- und Leistungsdenken sitzt echt tief. Neulich hat mir jemand erzählt, dass er mit Partner zum Sportmachen wiederholt für eine Woche in den Süden fliegt. Es ging aber nicht um irgendwas, das man nur dort machen kann. Nachdem ich darauf etwas ungläubig reagiert habe und dann auch noch fragte, ob das mit dem Klimaausgleich dann von der Fluggesellschaft übernommen wird, kam keine Antwort mehr… 

Die meisten Menschen werden erst mit Minimalismus anfangen, wenn es schick wird. Da ist aber die Wirtschaft davor… Bleibt Minimalismus also ein intellektuelles oder Öko-Thema, oder wie kriegen wir das unter die Leute? Lernen sie es erst, wenn es zu spät ist?

Die Narrative verändern

Kopf von Anna Koschinski mit zusammengebundenen braunen Haaren im dunkelgrauen Blazer

Ja, der Begriff “Verzicht“ ist sicher nicht förderlich, wenn es darum geht, eine gemäßigtere Lebensweise attraktiv zu machen. Aber letztlich sind das nur Worte. Ich könnte mir vorstellen, dass wir statt Argumenten mehr Geschichten brauchen, um solche Ideen weiterzutragen und sie aus der intellektuellen oder Öko-Ecke rauszuholen. Wir sehen das ja immer wieder, dass Narrative Dinge und Menschen in Bewegung setzen – nicht immer positiv, aber sie bewegen. Daher glaube ich, braucht es mehr als Begriffs-Veränderungen, es braucht positive Beispiele, neue Geschichten von Wert und Status. Aber das ist natürlich nichts, das sich von heute auf morgen verändern lässt. Dieses Denken sitzt tief.

Ich selbst komme aus einer Familie, die zwar reich an Bildung war, aber nie die großen Sprünge machen konnte. Meine Mutter erzählt noch heute die Geschichte, dass ich sie nach der Scheidung meiner Eltern mal gefragt habe, ob wir eigentlich arm seien. Es reichte nämlich streckenweise hinten und vorne nicht. Aber trotz dieser Situation konnte ich von meinen wenigen Dingen immer etwas abgeben, wenn zum Beispiel alte Spielsachen gesammelt wurden für eine dieser Weihnachten-im-Schuhkarton-Aktionen.

Und das ist für mich die Frage hinter dieser ganzen Bewegung: Was braucht es denn wirklich? Was ist wirklich wichtig? Und dann kommt sicher vielen von uns die Erkenntnis, dass es eigentlich nicht viel braucht. Und dass wir viel zu viel haben. Wenn meine Wohnung jetzt abbrennen würde, dann wäre das sicher schlimm, denn ein paar Dinge sind wirklich nicht zu ersetzen. Das allermeiste aber ist es eben doch. Das zu erkennen, finde ich extrem wichtig. Wir sind nicht unser Besitz.

Und da verstehe ich alle, die ausmisten und sich von Dingen trennen wollen, aber eben auch von den vielen Gedanken, Projekten und Ideen. Denn da entsteht ja auch Klarheit. Und das, was bleibt – und zwar ganz bewusst – erhält einen höheren Wert. Erzählen wir darüber, entstehen vielleicht neue, attraktive Stories, die dann wieder Menschen inspirieren und sie in Bewegung setzen. Und wenn es Geschichten sind, die zeigen, wie „schick“ Minimalismus sein kann.

Um aber minimalistisch(er) zu leben, müssen sich viele von uns mit dem Loslassen, dem Trennen beschäftigen, was gar nicht so einfach ist. Fällt dir das Ausmisten leicht, wenn du es machst? 

Wohin mit den aussortierten Dingen?

Annette Schwindt gezeichnet von tutticonfetti mit Kamera in der Hand, roter Brille und rotem Band im Haar und einem Herzchen in einer Sprechblase

Das Ausmisten selbst ist nicht mein Problem. Ich würde gern noch jede Menge aussortieren, wenn ich wüsste, wohin mit den Sachen. Und ich gebe zu, ich hab mir sogar die Tipps von Marie Kondō via Netflix angeschaut und danach meinen Kleiderschrank durchforstet. Es ist aber gar nicht so leicht, jemanden zu finden, der die Sachen haben will. Doch zum Wegwerfen ist das Meiste einfach zu schade.

So dachte ich, dass man Kleidung, die noch intakt ist, zum Beispiel in Second-Hand-Läden oder Sammelstellen für Geflüchtete abgeben kann. Aber man bekommt immer öfter Absagen, weil schon genug da sei. Eine Freundin hat mir dann einige Sachen abgenommen, um sie bei eBay zu verkaufen. Ob das geklappt hat, weiß ich aber nicht.

Noch schlimmer ist es mit Büchern und Magazinen. Es gibt Firmen, die groß Werbung machen, sie würden gebrauchte Bücher ankaufen. Dann stellte sich aber heraus, dass der Kaufpreis unter dem Betrag lag, den wir zum Verschicken gebraucht hätten. Vom Aufwand des Einscannens und Verpackens gar nicht zu reden. Ab und zu hat man Glück und findet Bibliotheken oder karitative Einrichtungen, die zumindest manche Bücher übernehmen. Aber für Magazine (wir haben z.B. mehrere Jahrgänge GEO) konnten wir noch gar keinen Abnehmer finden. 

Einfacher ist es mit Geschirr und anderen Haushaltsutensilien. Ich bin da in Facebook in einer Gruppe, über die man Dinge verschenken kann. Die Leute müssen dann nur zu Dir kommen und sie abholen. Und den Großteil meiner Spielsachen habe ich an Kindergärten oder an die Kinder von Freunden verschenkt.

Wie machst Du das? Wo gehen Deine aussortierten Sachen hin, die zum Wegwerfen noch zu gut sind?

Was passiert mit dem Weggegebenen?

Kopf von Anna Koschinski mit zusammengebundenen braunen Haaren im dunkelgrauen Blazer

Das ist wirklich das große Problem beim Ausmisten; diese Frage, wohin mit den Dingen, kenne ich nur zu gut. Ich habe schon viele Bücher an diese großen Ankaufs-Portale geschickt, auch wenn ich dafür nur ein paar Cent bekommen habe. Mein Gedanke war: Hauptsache weg und es kann von jemandem gekauft werden, der es noch nicht gelesen hat. Ich habe das auch mit den alten Büchern versucht, die ich von meinem Vater geerbt habe – teilweise wirklich seltene Ausgaben – aber die werden oft gar nicht erst angekauft. Fremdsprachige Bücher schon gar nicht. Da weiß ich noch nicht genau, was ich damit tun soll.

Und oft finde ich es auch schwierig, Dinge wegzugeben, wenn ich nicht genau weiß, was dann damit passiert. Das ist ja bei den Kleider-Containern auch so: Vieles wird wer weiß wohin verschifft und macht dann die heimischen Märkte kaputt. Es kommt jedenfalls nicht dort an, wo es gebraucht wird. Bei uns gibt es ein Sozialkaufhaus, da bringe ich Kleidung hin, die noch gut erhalten ist.

Vasen habe ich mal an die Straße gestellt und die wurden tatsächlich mitgenommen. Da war ich froh, denn ich hatte Sorge, dass sie einfach jemand kaputt tritt oder so. Man weiß ja nie, auf welche dummen Ideen Menschen kommen.

Also ich finde diesen Teil am Ausmisten wirklich schwierig, einen neuen Ort für die Dinge zu finden. Marie Kondō habe ich gelesen, aber mir war dieser Zugang zu plump. „Macht es mich glücklich?“ ist nicht die einzige Frage, die ich mir stelle. Denn wenn man jemand ist, der nie viel hatte, dann ist weggeben gar nicht so einfach.

Daher ist da oft so ein Zwiespalt: Auf der einen Seite fühlt es sich gut an, weniger zu haben, auf der anderen Seite möchte ich nichts verschwenden oder unnötig Ressourcen verbrauchen (obwohl ich das ja mit dem Kauf schon getan habe).

Kennst du solche Gedanken auch? Was macht das Ausmisten mit dir? 

Einfach zusammenpacken und los

Annette Schwindt gezeichnet von tutticonfetti mit Kamera in der Hand, roter Brille und rotem Band im Haar und einem Herzchen in einer Sprechblase

Ich finde es ungeheuer befreiend. Es hilft, nicht nur materiellen, sondern auch emotionalen Ballast loszulassen. Ich bin danach richtig euphorisch und inspiriert und nehme mir vor, noch mehr loszuwerden. Aber siehe oben…

Ich könnte mir gut vorstellen, in einem Tiny House zu leben. Aber mit meinem Mann, der Rollstuhlfahrer ist, geht das nicht. Der kommt da nicht klar. Aber als ich noch allein gewohnt habe, hatte ich nur knapp 50 Quadratmeter und das war völlig ausreichend. 

Als Nachfahrin von Vertriebenen, die mit quasi nichts hierher kamen und sich von Null an etwas aufgebaut haben, träume ich manchmal nachts davon, von jetzt auf nachher weg zu müssen. Dann frage ich mich immer, was nehme ich mit und was lasse ich da? 

Eine Oma von mir hatte solche Angst, dass bei Gewitter der Blitz einschlägt, dass sie immer einen gepackten Koffer mit allen Papieren und dem Nötigsten unter dem Bett hatte, damit sie ihn im Notfall nur greifen und das Haus verlassen konnte. Auf dem saß sie dann und betete bis das Gewitter vorbei war. Gebraucht hat sie ihn gottseidank nie.

Ich finde die Vorstellung, nur soviel zu haben, dass ich es relativ schnell einpacken und woanders hin ziehen könnte, schon verlockend. Man wäre viel mobiler. Okay, mein Mann und ich können das aus gesundheitlichen Gründen nicht. Aber rein theoretisch könnte ich es mir gut vorstellen. Einfach zusammen ein Wohnmobil besteigen und ab in die Welt. Das stelle ich mir herrlich vor. Wie fändest Du sowas? Wäre das was für Dich?

Sich nicht zuviel zumuten

Kopf von Anna Koschinski mit zusammengebundenen braunen Haaren im dunkelgrauen Blazer

Ja, das finde ich eine schöne Vorstellung – einfach einen Rucksack packen und ab geht‘s. Allerdings bin ich ja auch in gewisser Weise gebunden durch meinen Junior. Solange der noch klein ist (und ja auch schulpflichtig), ziehe ich nicht aus Bielefeld weg, denn das fände ich nicht fair gegenüber Junior und seinem Vater. Die große Freiheit habe ich dann wieder, wenn er 18 ist und irgendwo hinzieht zum Studieren oder so, vielleicht hole ich dann all die Dinge nach, die jetzt gerade nicht dran sind. 

Interessant, dass du den emotionalen Ballast ansprichst… Das ist nämlich so ein Thema, das ich nicht habe. Ich kann ausmisten und Dinge weggeben, mich verkleinern, aber ich habe nicht dieses euphorische Gefühl. Das ist auch so, wenn ich aufräume: Manche Menschen finden das ja entspannend, wenn nicht so viel herumliegt und alles sauber und ordentlich ist, aber bei mir ist das nicht so. 

Ich empfinde es dagegen als entspannend, wenn etwas entsteht, zum Beispiel wenn ich backe. Aber das ist ja eher nicht im Sinne des Minimalismus.

Ein Bereich, in dem ich gern minimalistischer wäre, sind aber Projekte. Ich habe ständig Ideen und starte gern Projekte, einfach so aus der passenden Laune heraus. Wenn dann aber zu viele Dinge nebeneinander laufen und ich mich selbst unter Druck setze, weil ich alles schaffen möchte, dann merke ich: Okay, das war zu viel, jetzt muss ich wieder reduzieren. Daher entstehen so etwas wie Aktivitäts-Wellen, auf denen ich surfe. Und nach einer Weile muss ich dann an den Strand, Pause machen.

Wie gehst du mit Projekten und Ideen um, wenn sie kommen? Kannst du dir in diesem Bereich Minimalismus vorstellen?

Mit der eigenen Energie haushalten

Annette Schwindt gezeichnet von tutticonfetti mit Kamera in der Hand, roter Brille und rotem Band im Haar und einem Herzchen in einer Sprechblase

Dass ständig Ideen kommen, das kenne ich. Und auch das mit den Wellen und den Pausen. Ich glaube nicht, dass ich da weniger machen könnte. Aber was ich gelernt habe, ist das Verteilen von Aufgaben. Am liebsten würde ich alles selbst machen und zwar sofort. Es erst anderen erklären zu müssen und dann auf Ausführung warten zu müssen, strapaziert mich schon sehr. Aber wenn das Ergebnis stimmt, bin ich im Nachhinein doch ganz froh darüber. 

Umgekehrt sagt man mir nach, ich sei immer so schnell in der Umsetzung. Für mich fühlt sich das aber eher normal bis langsam an, weil ich körperlich nicht so kann wie ich möchte. Vielleicht ist das aber auch die Methode meines Körpers, dem Ideengewitter in meinem Kopf Einhalt zu gebieten? Also vielleicht nicht Minimalismus, aber immerhin ein eingebautes Runterschalten? Interessanterweise stellt sich nach dem Runterschalten oft heraus, dass es gut für etwas war, weil sich dadurch inzwischen etwas entwickeln konnte, für das sonst keine Zeit gewesen wäre, oder das mir sonst doppelte Arbeit beschert hätte. Aber ich schweife ab…

Schon rein aus gesundheitlichen Gründen muss ich in vielen Fällen mit weniger Vorlieb nehmen, was mir aber selten fehlt, weil ich es nicht anders kenne. In anderen Situationen muss ich bewusst Reize reduzieren, weil es mich sonst überfordert. Ich frage mich manchmal, wie das wohl wäre, wenn man jeden Tag aufwacht und keine Löffel berechnen muss. Gibt es das überhaupt? Wie ist das bei Dir?

Perspektivwechsel ermöglichen

Kopf von Anna Koschinski mit zusammengebundenen braunen Haaren im dunkelgrauen Blazer

Danke für den Artikel, das Konzept mit den Löffeln ist eine sehr interessante Sicht auf Energie und wie sie verteilt ist. Ich kenne das nur kurzfristig; es gibt so Tage, da weiß ich gar nicht wohin mit meiner Energie, da laufe ich über vor Kreativität und schaffe nebenbei ganz viele Dinge. An solchen Tagen denke ich wirklich nicht nach, was ich tue und was vielleicht besser nicht, ich tue es einfach.

Aber ich habe da auch Glück: ich bin körperlich fit und auch mental sehr stabil, dadurch muss ich mir darüber nicht so viele Gedanken machen. Umso wichtiger sind solche Texte wie deiner, die einen Perspektivwechsel ermöglichen, denn ich denke, viele Menschen sind nicht ignorant oder böswillig, sie übersehen die anderen Perspektiven im hektischen Alltag.

Vor ein paar Jahren habe ich angefangen, meine Projekte in einer Energie-Skala zu erfassen und sie mir regelmäßig genau anzuschauen. Es gibt die, die kosten mich sehr viel Energie, geben mir aber auch welche – sowohl in Form von Geld, als auch in Form von positivem Feedback, das stärkt. Und dann gibt es die, die mir nur wenig davon geben oder nur Geld. Das sind die Projekte, die ich meist schnell wieder beende. Denn auch hier habe ich Glück: Ich kann es mir aussuchen mittlerweile.

Leider bin ich manchmal nicht konsequent genug damit, Projekte nicht zu machen. Wenn ich Energie habe und mich fühle, als könnte ich alles schaffen, dann mache ich auch gern „alles“. Und dann fällt mir das auf die Füße, weil nur eine Kleinigkeit schiefgehen muss und ich gerate extrem unter Druck. Also eine Bremse wäre vielleicht manchmal gut.

Was ich aber noch beobachte in dieser ganzen Debatte um Optimierung und Minimalismus ist so eine Art Wettbewerb: Da überbieten sich Menschen darin, möglichst wenig zu besitzen und machen einen Lifestyle daraus. Und wenn man dann als „Normalo“ daherkommt und sagt „hey, ich hab auch schon mal ausgemistet und habe meine Konsumgewohnheiten umgestellt, um weitgehend plastikfrei zu leben“, dann bekommt man schnell zu hören, das sei nicht genug. Ist wie mit dem Fleischkonsum. Da gehört man ja auch nicht dazu, wenn man es nicht radikal durchzieht. Und ich fürchte, so geht die gute Idee dahinter verloren.

Der Fakt, dass jeder kleine Schritt hin zu diesem „Weniger“ nicht nur für uns selbst, sondern auch für die Welt gut ist, scheint mir noch zu wenig Beachtung zu finden. Daher freu ich mich so, dass wir hier in unserem Bloggespräch auch mal über die „Normalo-Perspektive“ berichten konnten. Was meinst du, gibt es Wege, Minimalismus attraktiv zu machen, abseits vom radikalen Wettbewerb?

Vorleben und hoffentlich inspirieren

Annette Schwindt gezeichnet von tutticonfetti mit Kamera in der Hand, roter Brille und rotem Band im Haar und einem Herzchen in einer Sprechblase

Ich frage mich, ob das nicht bereits eine privilegierte Sichtweise ist? Wie macht man denjenigen Menschen klar, dass weniger besser ist, die immer nur sehen, dass andere mehr besitzen, und die denken, sie müssten das auch haben, um glücklich zu werden? Dabei ist ja hinlänglich erwiesen, dass Besitz nicht glücklich macht. Vielleicht bedeutet genug Geld zu haben mehr Freiheit. Andererseits wird auch die Fallhöhe größer. 

Was hingegen nachgewiesenermaßen glücklich macht, sind Beziehungen zu anderen Menschen, also das soziale Verbundensein. Und das hat in der Leistungsgesellschaft eindeutig abgenommen. Wie soll man da die Menschen zum Teilen bringen, wenn es immer nur Ich, Ich, Ich heißt?

Kürzlich habe ich einer Bekannten, die sich selbst als arm ansieht, aber Arbeit, Wohnung und Familienanbindung mit Arbeit hat, versucht nur mal als Denkanstoß mitzugeben, dass sie mit dem, was sie hat, immer noch zu den obersten paar Prozent der Weltbevölkerung gehört. Sie schaut aber weiter nur mit Neid auf die, die mehr haben. Genau dasselbe mit berühmten Leuten. Ich versteh das nicht… Das sind alles nur Menschen!

Wie also den Minimalismus attraktiv machen? Ich fürchte, man kann sich nur an der eigenen Nase fassen, versuchen es so gut als möglich vorzuleben und hoffen, dass es andere zum Mitmachen inspiriert. 

Wie siehst Du das? Ich danke Dir schon mal für dieses Bloggespräch und überlasse Dir das Schlusswort.

Wie wollen wir eigentlich leben?

Kopf von Anna Koschinski mit zusammengebundenen braunen Haaren im dunkelgrauen Blazer

Natürlich ist es privilegiert, absolut. Auch in meiner Geschichte finden sich diese Gedanken, als es in meiner Familie eine Zeit lang nur sehr knapp für die Miete reichte und viele andere Ausgaben einfach nicht möglich waren. Da habe ich auch auf die anderen geschaut und gedacht, es sei erstrebenswert, mehr zu haben.

Was ich aber heute sehe: Der Druck, mal mit weniger auskommen zu müssen, kann auch den Blick schärfen. Für das, was wirklich gebraucht wird. Diesen Blick halte ich für wesentlich, wenn wir uns Gedanken machen, wie wir eigentlich leben wollen – ganz abseits von dem, was die anderen machen.

Dann brauchen wir nicht die stylische Seite des Minimalismus, um mal zu schauen, wie sich ein Leben mit weniger anfühlt. Nur um anschließend zurückzukehren in unser “normales” Leben. Da gibt es ja viele, die mit dem Thema Minimalismus Geld verdienen, es als Lifestyle verkaufen. Das ist dann aber eher ein kleines Abenteuer zwischendurch und keine Notwendigkeit.

Wenn du mich fragst, wie wir dem näherkommen, was wirklich wichtig ist: Ich denke, ein erster guter Schritt ist es, Gleichgesinnte zu finden. Da sind wir dann auch bei dem sozialen, dem Gemeinschaftlichen, das du angesprochen hast.

Aber für derlei neue Verbindungen braucht es Offenheit, Neugier und Zeit. Die sind nämlich der wahre Luxus heutzutage, glaube ich. Zeit, Dinge zu tun und zu entdecken. Plus den Mut, Dinge anders zu machen und zu bewerten, ohne zu schauen, wie die anderen das wohl machen.

Suchen wir den Austausch, verbinden wir uns mit anderen Menschen, digital, aber vor allem auch lokal. Entdecken wir Nachbarschaft wieder neu, schauen wir über den Tellerrand und hören uns Geschichten an, die davon erzählen, wie es anders geht. Und treffen wir kluge Entscheidungen, ohne uns zu vergleichen. Ich glaube immer noch an die Menschheit. Hoffnung als Gegengewicht zu all den schlechten News da draußen.

Ich danke dir, liebe Annette, für dieses Gespräch, deine Geschichten und diese “Bühne” hier. Danke, dass du auch anderen Raum für Gedanken, Ideen und Inspiration bietest – ich liebe diese Art zu bloggen! 

Über meine Gesprächspartnerin

Anna Koschinski mit zusammengebundenen braunen Haaren im dunkelgrauen Blazer und weißem Shirt steht mit Smartphone in der Hand vor einem Tisch mit Blumenstrauß

„Entspannt und zielgerichtet bloggen“ ist Anna Koschinskis Motto für sich selbst und andere. Als Bloggerin, Texterin und Schreibcoach bringt sie Menschen ins Schreiben, damit sie ihre Geschichten und ihre Botschaft mit der Welt teilen können. – annakoschinski.de

Foto von Anna: Mirjam Kilter
Avatar von Annette: tutticonfetti

In diesem Zusammenhang auch interessant:

In meiner Rubrik „Bloggespräche“ unterhalte ich mich mit einem Gegenüber über ein frei gewähltes Thema wie in einem Mini-Briefwechsel. Wer auch mal so ein Gespräch mit mir führen möchte, findet alle nötigen Infos dazu unter https://www.annetteschwindt.de/bloggespraeche/ und kann sich von dort direkt bei mir melden.


Diesen Beitrag weitersagen:

8 Antworten auf „Zum Thema Minimalismus – Ein Bloggespräch mit Anna Koschinski“

Was für ein tolles Format und interessantes Gespräch, liebe Annette
Ich bin Annas Superfan, kenne sie seit 2018 und bin dankbar über sie, jetzt auch Dich etwas kennengelernt zu haben. Minimalismus hat sehr viele Gesichter und wir können nur durch unser Vorleben andere Menschen zum Nachdenken anregen.
Für mich gilt: So viel wie nötig, so wenig wie möglich. Damit bin ich gut durch sechs Lebensjahrzehnte gekommen.
Alles Liebe und Gute
Margaretha

Wunderbar, liebe Annette,
vielen Dank für die Empfehlung und Dein Angebot. Das nehme ich sehr gerne an und melde mich, wenn mir was passendes einfällt. Ich finde Dein Bloggespräch eine wundervolle Ergänzung zum „normalen“ Blogbeitrag. Werde mich noch etwas tiefer in Deine Bloggespräche vertiefen.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert