Zum Thema Homeoffice – Ein Bloggespräch mit Dr. Michaela Endemann

In der Anfangszeit der Pandemie hat meine heutige Gesprächspartnerin ihre Gedanken zum Thema Homeoffice in ihrem Blog niedergeschrieben. Jetzt wollen wir hier in einem Bloggespräch daran anschließen. Michaela und ich folgen einander schon lange auf verschiedenen Social-Media-Kanälen, ohne uns je analog oder anders als schriftlich begegnet zu sein.

Annette Schwindt

Hallo Michaela, wie schön, dass Du Dich für dieses Bloggespräch gemeldet hast! Wir gehören beide zu den webaffinen Menschen, für die das digitale Pflegen von Kontakten nichts Besonderes ist. Wie man einen Videochat benutzt oder mit anderen rein digital zusammenarbeitet, war für uns bei Beginn der Pandemie nichts Neues. 

Was hat Dich damals dazu bewogen, den Blogartikel zu schreiben und warum bist Du jetzt auf das Thema zurückgekommen?

Am Anfang sogar genossen

Dr. Michaela Endemann

Es hat sich damals so ergeben, da ich die erste Zeit im Homeoffice eigentlich genossen habe, vom Zahnarztbesuch abgesehen, und das ich mit den vielen Aussagen von “mir ist fad” überhaupt nichts anfangen konnte. Vermutlich auch weil der Job als Journalistin es mit sich brachte, dass ich genug zu tun hatte. Zudem musste ich meinen neuen Lehrauftrag von Präsenz auf Online komplett umorganisieren. Aber auch sonst: Mir war nie fad, schon als Kind nicht. Ich brauch keine Bespaßung, ich war viel in der Natur, da gab’s im Übrigen nicht mal Spielplätze. Der Wald war Spielplatz genug. Und, wenn ich mich erinnere, auch nicht jeden Tag einen Lokal-/Eventbesuch. Das Highlight meiner Jugend- und Studienzeit war sicher ein Lokalbesuch am Samstagabend. 

War Dir jemals fad?

Zunehmende Zermürbung

Annette Schwindt

Nein, aber ich arbeite ja schon seit bald 20 Jahren online von zuhause aus. Aus gesundheitlichen Gründen sind wir noch nie viel ausgegangen, höchstens mal zu Freunden oder sie zu uns. Lange Zeit konnte ich auch nicht reisen oder lange spazieren gehen, das hatte ich mir gerade erst zurückerobert. Dass ich das dann nicht mehr machen konnte, hat mich schon geärgert. Aber Lagerkoller haben wir nicht bekommen und das obwohl wir ja seit Beginn der Pandemie in Isolation sind. Mit Beginn der 4. Welle spüren wir aber wie alle die Zermürbung…

Ich kann mir jedoch denken, dass Paare, die vielleicht vorher nur funktioniert haben, weil sie dauernd unterwegs waren, oder Familien, die nicht gewohnt sind, sich mit sich selbst zu beschäftigen, und vor allem die, die auf engem Raum leben müssen, sich von Beginn an eingesperrt fühlten. So sind ja auch die Statistiken häuslicher Gewalt nach oben gegangen. In Krisensituationen kommen die Probleme ans Licht, von denen man sich vorher draußen hatte ablenken können. 

Es mag menschlich sein, dass viele sich das Vorher (das sie Normalität nennen) zurück wünschen, statt sich zu überlegen, was an dem Neuen Gutes mit in die Zukunft genommen werden könnte. Ich finde es aber angesichts dessen, was für unsere Zukunft prognostiziert wird, bedenklich, nicht dazulernen zu wollen. Gibt es denn für Dich Dinge, die Du auch nach der Pandemie beibehalten wirst?

Die richtige Mischung finden

Dr. Michaela Endemann

Ja, für sehr viele Paare, vor allem mit Kindern, war das sicher nicht ganz so einfach. Da sind drei verwöhnte Katzen im Homeoffice immer noch pflegeleicht. Im Homeoffice haben sich aber im zweiten Lockdown im Herbst neue Absprachen eingestellt. Balkonien im Winter war nicht mehr ganz so attraktiv wie im Frühjahr/Sommer und man stört sich doch auch gegenseitig bei gleichzeitigen Onlinemeetings. Wer hat wann Onlinemeetings, zur Not mal auch in der Küche, wer kann das Mittagessen kochen, wer kann einkaufen gehen, Wohnung putzen. Und wann machen wir gemeinsam Pause oder gar ein paar Tage Urlaub, auch voneinander. Denn so gut es gelaufen ist, Abstand voneinander finde ich wichtig. Mein Urlaub hat mich im Juli an den Bodensee geführt, eine Freundin besuchen. Alleine.

Und nein, das alte “normal” will ich auch nicht mehr.  Ein guter Mix ist für mich ideal. Derzeit haben wir zwei bis drei Tage Homeoffice gemeinsam, und ich wäge gut ab, zu welcher Veranstaltung ich online oder in Präsenz gehe. Das will ich auf jeden Fall beibehalten. 

In meinen Projekten merke ich, es ist noch viel Luft nach oben bei den Tools die man digital so einsetzt und die Kenntnisse welche Tools für was gut sind. Präsenz/Offline-Prozesse einfach online abbilden, das funktioniert nicht und Projektmanagement mit Emails finde ich auch schwierig. Ich probiere gerne aus und hab derzeit so in etwa fünf Tools, mit denen ich auch in verschiedenen Teams zusammenarbeite. Wie ist deine Erfahrung mit Online-Kollaborations-Tools?

Die passende Organisation entwickeln 

Annette Schwindt

Bei mir haben sich die Basics immer wieder gut bewährt: 

  • Google Docs/Tabellen für gemeinsam zu bearbeitende Dokumente
  • Google Drive, Dropbox oder sonstige Cloudlösungen für Dateisammlungen und -transfer
  • E-Mail für sensible Kommunikation
  • Messengerdienste für kurze Absprachen
  • Telefon/Videochat für längere Besprechungen

Mein Mann und ich pflegen außerdem noch einen gemeinsamen Google Kalender, damit wir uns in Sachen Videochats nicht in die Quere kommen. 

Ansonsten arbeitet er im Esszimmer und ich entweder im Wohn- oder im Schlafzimmer, je nachdem ob ich Ruhe brauche, oder nicht (bei uns gehen Wohn- und Esszimmer ineinander über). Gegessen wird zusammen, eingekauft haben wir auch vor der Pandemie online. Besondere Besorgungen erledigen Freunde oder Nachbarn für uns mit.

Ich hab ja wie gesagt schon immer so gearbeitet. Bei Thomas hieß es immer, das sei organisatorisch und datenschutzrechtlich nicht drin. Mit Corona ging es dann aber plötzlich doch. Er sagt auch, dass er zuhause produktiver ist. Außerdem ist es weniger anstrengend für ihn, weil die Fahrten wegfallen. Die dauern zwar nicht lang, sind für ihn als Tetraplegiker aber immer sehr aufwendig. Das spart er dann z.B. auch an Zeit, die er sonst vom Schlaf abziehen muss.

Was ich interessant finde: Viele kriegen das mit der digitalen Kommunikation nicht geregelt und wollen unbedingt zu analogen Meetings zurück. Warum haben manche Leute damit solche Probleme?

Viele sind vom Digitalen überfordert

Dr. Michaela Endemann

Gute Frage. Ich denke es ist einerseits nicht so einfach von gewohnten Abläufen abzugehen, andererseits sind die Tools auch nicht unbedingt perfekt. Es gibt kein Tool, das für alles und alle passt, von Stabilität, Usability und Datenschutz mal abgesehen. Zusätzlich kann man keinen Präsenzprozess wie ein Meeting eins zu eins auf Online übertragen. Zum Beispiel die Serviette für Notizen oder Zeichnungen. Klar gibt es das online, aber das muss eben geplant werden, für alle verfügbar sein und auch funktionieren  und abgespeichert werden. Online erfordert daher ein bisschen mehr Planung vorher, währenddessen und nachher (Dateiablage!) und mehr Disziplin. 

Dass es geht, zeigen mir Onlinemeetings mit über 20 Personen, bei denen sogar über mehrere Stunden an Dokumenten und an Whiteboards gearbeitet wird. 

Was ich oft beschränkend finde, ist, dass bei manchen Onlinemeetingtools nicht alle Personen angezeigt werden können, und dass mir ein Bildschirm nicht ausreicht. Ich arbeite daher mit zwei Bildschirmen. 

Bei asynchronen Tools wie Trello und Co. gilt halt auch: man muss selbständig von Zeit zu Zeit reinschauen, ob sich schon etwas getan hat, oder wie Du es hier im Bloggespräch machst, kurze Notiz über einen Messenger oder per Email verschicken, dass es weiter geht. 

Ich denke, dass die multiplen Wege, also über Tools hinweg arbeiten, viele noch sehr überfordert, weil sie nur gewohnt sind E-Mails abzurufen, das abzuarbeiten und Schluss. Schon einloggen in Onlinetools wird da als zu mühsam empfunden und sie vergessen es schlichtweg. Einen Zwischenschritt hab ich allerdings schon bemerkt: Manche machen sich Gedanken, auf welchen Kanälen sie am besten erreichbar sind. Ich z.b. via Twitter und LinkedIn, dann erst über diverse E-Mail-Accounts erreichbar. Via Telefon eher weniger gerne.

Ich glaube, dass wird noch eine Weile dauern und bedarf eines feinfühligen darauf Hinarbeitens in kleinen Schritten. Immer wieder Onlinetools anbieten, dort wo es leicht geht und es vormachen. Ich zeige z.B. hin und wieder auch bei Projekten, wo ich nur für mich Trello nutze, weil es im Team niemand will, meine Arbeit, einfach um das Interesse zu wecken. Ist vielleicht so wie mit neuen Lebensmitteln. Erst durch mehrmaliges Probieren schmeckt‘s vielleicht.  

Wie könnte man denn sonst noch Onlinetools schmackhaft machen, außer immer wieder davon zu reden und Erfahrungen auszutauschen? Wo braucht es Unterstützung? Wer braucht Unterstützung?

Werkzeuge intuitiver nutzbar machen

Annette Schwindt

Tja, auf diese und verwandte Fragen in Sachen digitale Alphabetisierung kommen wir hier in der Reihe der Bloggespräche immer wieder. Kann man jemanden webaffin machen? Oder braucht es nicht zuerst eine gewisse Offenheit, damit sich überhaupt was bewegen kann?

Ich vertrete ja immer noch die Meinung, dass die Tools umso beliebter werden, je intuitiver sie nutzbar sind. Das sieht man besonders schön an Whatsapp (Datenschutzfragen jetzt mal außen vor). Viele Leute denken, das sei wie sms schon im Telefon drin, nur weil es vorinstalliert mitkommt. Einzuloggen braucht man sich ja auch nicht. Die Nutzung ist außerdem auch einfach. Resultat: Meistgenutzte App für Sharing und Social. 

Ich versuche beim Erklären immer Analogien aus dem offline Arbeiten zu finden, um Tools und Prozesse bildlich greifbar zu machen. Das hilft manchmal schon. 

Was ja auch wichtig ist: Mehr Homeoffice spart Ressourcen! Zunächst mal all das, was mit dem Pendeln zur und von der Arbeitsstelle verbunden ist. Und das betrifft nicht nur Benzin, Abgase, Abnutzung der Fahrzeuge und Wege, sondern auch Zeit und Nerven! Nach dem ersten Pandemiejahr, als es weltweit viele Lockdowns gleichzeitig gegeben hatte, meldeten sogar die Seismographen, dass die Erde insgesamt weniger vibriert hatte als sonst. Andere Kosten wie Strom oder Heizung verlagern sich vom Büro aufs Zuhause. Fragt sich, wie sehr das ins Gewicht fällt und inwieweitdiese Kosten dnn vom Arbeitgeber mit abgedeckt werden sollten.

Was glaubst Du, wie Unternehmen künftig dafür sorgen könnten, dass ihre Mitarbeiter gern im Homeoffice oder sonstwo mobil arbeiten? Es gibt ja längst Firmen, die haben gar keine eigenen Büros mehr.

Noch einiges zu klären

Dr. Michaela Endemann

Das kommt sicher auch auf die Arbeit an. Ist der geforderte Job auch im Homeoffice möglich? Z.B. auch wenn so manches schon mit Remote geht, das Rumschrauben an Geräten oder in der Produktion mit Handarbeit geht so nun mal nicht. Und wie viel Führung brauchen Mitarbeiter tatsächlich, wieviel Eigenverantwortung und wie ist das private Umfeld gestaltet usw. Ich denke da sind wir noch im Ausprobiermodus. 

Ob Homeoffice insgesamt Ressourcen spart, kann ich nicht beurteilen. Klar der Arbeitsweg fällt weg, aber eben Strom, Heizung, Internet… – da gibt es sicher auch Diskussionsbedarf und ich denke da ist der Gesetzgeber gefordert, geeignete Rahmenbedingungen zu schaffen. 

Insgesamt glaub ich es wird wohl ein Mix aus Homeoffice und Büro sein. 

Und weil Du es angesprochen hast, ob man Menschen internetaffin machen kann. Schwierig. Kennst Du den Vortrag von Peter Kruse? https://www.youtube.com/watch?v=ryiuuUKQJy0

Wär sicher interessant, so eine Studie heute wieder durchzuführen. Ob es einen Shift in Richtung digital gegeben hat, oder ob die Kluft geblieben ist?

Lernen richtig zu kommunizieren

Annette Schwindt

Danke für den Tipp. 🙂 Die Unterscheidung in Nicht-Webaffine und dann Digital Visitors und Digital Residents innerhalb der Webaffinen erklärt in der Tat einiges. Ich sehe mich selbst als Netzbewohner, produziere selbst Inhalte, kooperiere und teile Wissen. Ich habe den Kulturwandel verinnerlicht. Viele irren aber mehr oder weniger orientierungslos durch die digitale Welt und konsumieren nur.

Ich schätze wie gesagt, dass umso mehr Leute digitale Möglichkeiten nutzen, je mehr diese in alltäglich genutzte Gegenstände integriert werden. Das sieht man z.B. auch am Streaming, an das sich nun auch das ehemals analoge Fernsehen immer mehr anpasst. Oder an all den smarten Gebrauchsgegenständen oder Haushaltsgeräten, die durch Anschluss ans WLAN per App vom Handy aus benutzbar werden. So kontrollieren wir z.B. unser Raumklima inzwischen digital oder haben gar keine Stereoanlage mehr, sondern nur eine Soundbar, über die alle Audio-Sachen ausgegeben werden. Brauchen wir etwas, wird es online gesucht und beschafft.

Wer schon vor der Pandemie selbstverständlich online kollaboriert und videogechattet hat, für den ist das jetzt keine so durchgreifende Umstellung mehr. Wir haben auch vorher schon fast alle unsere aktuellen Freunde zuerst online kennengelernt und erst dann analog getroffen. Es kommt darauf an, wie man miteinander kommuniziert. Soziologisch gesehen lernt man andere online genauso kennen wie analog, nämlich vorwiegend über gemeinsame Interessen und/oder gemeinsame Kontakte. Online ist das sogar noch stärker der Fall. 

Wenn sich dort dann jemand nicht als er*sie selbst gibt, ist das nicht die Schuld des Kanals, sondern die Entscheidung der betreffenden Person. Umgekehrt kann ich mich aber auch dazu entscheiden, mich online wie im analogen Leben zu verhalten und anderen Menschen auch so zu begegnen wie ich es offline tun würde. Es ist also meine Entscheidung, in welche Art von Gesprächen ich mich online einbringe, welche Inhalte ich selbst produziere und wie ich mit denen von anderen umgehe. Wie Johannes Korten schon sagte: „Das Netz ist ein guter Ort, wenn wir es dazu machen.“ Wenn wir es also dazu benutzen, einander zu unterstützen, Wissen zu teilen und voneinander zu lernen. 

Die Frage ist ja nicht nur, ob Homeoffice ja oder nein. Das ist ja nur ein Aspekt eines gesamtgesellschaftlichen Wandels, nicht nur der Art des Arbeitens, sondern für unser gesamtes künftiges Leben auf diesem Planeten. Wie siehst Du das?

Anpassung nötig

Dr. Michaela Endemann

Ja da gibt es noch viel mehr für die Arbeit der Zukunft, da könnten wir wohl endlos diskutieren. In einem kürzlichen Gespräch hat ein Bekannter z.B. die Erfahrung bei Vorstellungsgesprächen gemacht, dass manche Jüngere richtig Angst vor dem persönlichen Gespräch haben weil sie es nicht mehr gewöhnt sind jemandem gegenüber zu stehen. 

Insgesamt glaube ich, der Mensch an sich ist anpassungsfähig und wird sich an die jeweiligen Gegebenheiten anpassen und damit umgehen lernen. Mal mehr mal weniger, und dass eine Anpassung dauert, liegt in der Natur der Sache.

Annette Schwindt

Das Problem ist nur, dass wir diesmal nicht viel Zeit dafür zur Verfügung haben. Wenn sich nicht bald etwas tut, erledigt sich die Frage nach dem Homeoffice von allein… Für viele Menschen ist das ja ohnehin ein Elfenbeinturm-Gespräch, das wir hier geführt haben. Trotzdem Danke, dass Du Dir die Zeit dafür genommen hast, liebe Michaela.

Dr. Michaela Endemann

Danke, Dir für die Gelegenheit zum Bloggespräch!

Über meine Gesprächspartnerin

Dr. Michaela Endemann

Dr. Michaela Endemann ist Biologin, strategische Kommunikationsbegleiterin, Gesundheitsjournalistin und bloggt seit 2008 auf ihrem Blog www.medtermine.at. Sie sorgt  im Hintergrund dafür, dass Unternehmen Social Media gut in ihre Kommunikation einbinden können und begeistert sich für alles was mit E-Health und IT im Gesundheitsbereich zu tun hat. wissit.at 

Foto von Michaela: Dr. Michaela Endemann
Avatar von Annette: tutticonfetti

In meiner Rubrik „Bloggespräche“ unterhalte ich mich mit einem Gegenüber über ein frei gewähltes Thema wie in einem Mini-Briefwechsel. Wer auch mal so ein Gespräch mit mir führen möchte, findet alle nötigen Infos dazu unter https://www.annetteschwindt.de/bloggespraeche/ und kann sich von dort direkt bei mir melden.


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