Leben und Arbeiten in Pandemiezeiten – Ein Bloggespräch mit Klaus Venus

Als ich vor fast 25 Jahren als freie Mitarbeiterin bei einer Tageszeitung angefangen habe, habe ich meinen heutigen Gesprächspartner kennengelernt. Klaus arbeitete damals als Fotograf für die Zeitung, für die ich schrieb. Wir liefen uns also bei Terminen oder in der Redaktion immer wieder über den Weg. Nach meinem Volontariat und meinem Umzug nach Bonn hörte ich dann lange nichts mehr von ihm bis wir uns auf Facebook wiederbegegneten und er mich bat, ihm mit dem Relaunch und der Pflege seiner Website zu helfen. Seitdem chatten wir öfter auch mal einfach nur so und als ich ihn fragte, ob er nicht auch mal ein Bloggespräch mit mir machen wolle, schlug seine Lebensgefährtin das Thema Soloselbständigkeit in Pandemiezeiten vor, was uns aber bald entglitt. Aber lest selbst:

Annette Schwindt gezeichnet von tutticonfetti

Vielen Dank, dass Du mit mir dieses Blogespräch führen möchtest, lieber Klaus. Gerade erst hast Du ja für Dein Blog auch etwas zum Thema gepostet. Dabei ging es um die Speyerer Schausteller, die in diesem Jahr nicht nur durch den abgesagten Weihnachtsmarkt große Verdienstausfälle zu beklagen hatten. In Deinem Beitrag hast Du geschrieben, dass Du Dich als Soloselbständiger mit ihnen solidarisierst. Wie ist es Dir in diesem Jahr ergangen?

Klaus Venus

Dieses Gespräch, natürlich aber andere auch, führe ich sehr gerne mit dir. 🙂 In meinem FB-Profil habe ich kürzlich (m)einen Beitrag von Speyer.Kultur geteilt, in dem die Stadt Speyer sich an die Kampagne “Kulturgesichter…” gehängt hat und Kulturschaffende um ihre Antworten auf vier Fragen zur Einschätzung ihrer Lage und der Lage der Kultur bittet. Ich solidarisiere mich nicht nur als Soloselbständiger, sondern auch als Kulturtreibender, obwohl ich nicht auf der Bühne stehe und spiele oder z.B. Musik darbiete. Aber ich bin als Fotograf einer kulturellen Veranstaltung für eine Zeitung und oder für den Veranstalter ebenso ein Kulturtreibender wie es der Mensch am Misch- oder Lichtpult ist, der Rigger, der die Bühne baut, der Maskenbildner hinter den Kulissen, der Roadie, um nur einige der vielen Berufe rund um die Kultur zu nennen. 

Aber nun mal etwas konkreter zu deiner Frage. Dieses Jahr glich ein wenig einer Berg- und Tal-Fahrt. In normalen Geschäftsjahren sind die ersten Monate eher ruhig bzw. umsatzarm und ich habe immer die Befürchtung, wie das Jahr wird und ob ich durchkomme, bis dann im 2. Quartal das Geschäft startet. Dieses Jahr hingegen war das 1. Quartal sehr gut und ich hatte viel zu tun und konnte gute Umsätze und auch Gewinne erzielen. Dies änderte sich aber mit Beginn der Corona-Pandemie beinahe schlagartig, wobei ich noch gut durch das 2. Quartal kam, bevor dann im 3. Quartal der große Hammer kam und, metaphorisch ausgedrückt, alles kaputt schlug. Das 4. Quartal ist richtig mau und Weihnachten ist theoretisch gestrichen. Grmpf.

Wie erging es dir bisher in diesem Jahr? Merkst du beruflich etwas von dieser C-Sache? Privat dürftest du es ja merken?

Annette Schwindt gezeichnet von tutticonfetti

Ja klar, privat hat es dazu geführt, dass Thomas und ich – da beide zur Risikogruppe gehörend – seit März in Isolation zuhause sind. Ohne Garten, dafür zum Glück mit schnellem Internet. Dadurch können wir mit der Welt in Verbindung bleiben, das meiste online einkaufen und was wir nicht online erledigen können, fangen Nachbarn oder Freunde für uns ab. Thomas kann zum Glück nun auch von zuhause aus arbeiten. Bei ihm tut sich in der Hinsicht gerade viel, von dem es vorher hieß, dass es nicht möglich sei. Einiges davon soll auch nach der Pandemie weiterhin so gehandhabt werden. Das finde ich richtig gut. Aber er arbeitet eben im öffentlichen Dienst.

Ich selbst hab ja nach meiner Ausbildung schon immer von zuhause aus und mit digitaler Kommunikation gearbeitet. Was sich für mich nur geändert hat, ist der fehlende analoge Außenkontakt. Mit Portraitfotografieren ist also erst mal nichts und das, wo ich mir gerade eine neue Kameraausrüstung gekauft und eine Warteliste von Interessenten hatte. Das wurmt mich schon… Aber aufgeschoben ist ja nicht aufgehoben. Dafür war zu Anfang der Pandemie das Interesse an Websites recht groß und ich hatte noch einen laufenden Fachlektorats-Job. Im Gegensatz zu Dir muss ich aber nicht davon leben, sonst hätte ich jetzt auch ein Problem.

Was mich wundert, ist dass der anfängliche Schwung in Sachen digitaler Alternativen oder auch digitalen Leistungen für mein Empfinden ziemlich schnell abgeebbt ist. Für Dich als Fotografen ist das natürlich nicht geeignet, aber das Angebot an Livestreams z.B. von Konzerten hatte kurz einen Peak, dann ist es wieder abgeflacht. Dabei hätte man das doch durchaus monetarisieren können. Einige Künstler hatten online ja sogar mehr Zulauf als analog. 

Ich bin mir sicher, dass man da digital noch viel rausholen könnte, aber da gibt es eben zwei Probleme:

  1. Die mangelnde Digitalkompetenz in Deutschland (sowohl was den Internetausbau als auch die digital literacy der Nutzer angeht).
  2. Das leidige Geld. 

und dann beißt sich die Katze auch noch in den eigenen Schwanz…

Ich überlege gerade, wie Dir digital geholfen werden könnte… Hättest Du als Fotograf nicht z.B. die Möglichkeit, verstärkt digitale Bildbearbeitung und damit verbundene Leistungen in Verbindung mit Druckdienstleistern anzubieten? Oder Material aus Deinem Bildarchiv über bezahlte Stockphoto-Dienste? Das Ganze befeuert durch Dein Blog und entsprechende Aktivität in Social Media (einiges machst Du ja schon)?

Klaus Venus

“Digital literacy”. Ts. Da muss ich doch glatt mal etwas den Kopf schütteln, du kleine chronische Digitaline 😉 Nun aber zurück zum Gespräch.

Hm, das mit dem Garten ist natürlich bedauerlich bzw. dass ihr außer Lüften gar keine Chance auf Frischluft und oder etwas Weite im direkten Umfeld habt. Und das schnelle Internet, nun ja, das sollte im Jahr 2020 doch selbstverständlich sein, was es aber leider nicht ist. Hier versagt in meinen Augen die Politik, denn ich bin absolut der Meinung, dass eine schnelle Internetverbindung ein absolutes Muss ist, wie ein stabiles Stromnetz, eine sicher funktionierende Wasserversorgung, saubere und nicht marode Straßen, um nur einige Dinge zu erwähnen. Und mir sei die Frage gestattet, wie ihr damit umgeht, dass ihr nun seit März komplett aufeinander hockt, ohne dass Besuch kommt oder ihr mal aus dem Haus kommt? Wie schafft man das?

Hier komme ich gleich zu dem von dir angesprochenen Punkt Digitalkompetenz, bei dem es in Deutschland sehr im argen liegt, denn wie sollen wir, sollen unsere Kinder Digitalkompetenz entwickeln, wenn wir teilweise kein vernünftiges und stabiles Netz haben, wenn digitale Inhalte in der Schule nicht gelehrt werden (können), wenn es eine Pandemie braucht, um diese Themen anzugehen, wo wir das Thema Digitalisierung doch schon seit 20 Jahren auf dem Tisch liegen haben?! Wenn du auf dem Rückweg aus einem Urlaub in den Niederlanden 20 km nach der Grenze aufgrund der fehlenden Internetverbindung auf der Autobahn merkst, dass du wieder in Deutschland bist?

Du merkst, ich werde gerade etwas zynisch, ich erlebe aber zum Teil durch eigene Erfahrungen, wie rückständig wir hier sind, aber auch durch meinen Beruf und auch als Vater eines mittlerweile erwachsenen Sohnes, wie sehr Deutschland hier hinterher hinkt…

In Sachen z.B. von Livestreams von Konzerten bin ich etwas zwiespältig und verstehe Künstler, die ihre Inhalte nicht digital anbieten wollen. Zum einen fehlt vielen Musikern die Interaktion mit dem Publikum bzw. überhaupt die Anwesenheit von Publikum, zum anderen haben wir in Deutschland ziemlich starke „Im Netz ist doch alles fer umme“-Mentalität und somit fehlt die Bereitschaft für digital angebotene Konzerte Geld zu bezahlen so wie man dies für die klassische Konzertkarte bereit wäre zu tun.

Hier ergibt sich für mich aber eine Frage an dich. Was denkst du könnte/sollte man tun die digitale Kompetenz von uns allen zu verbessern? Schulen mit vernünftigen Computern und Netzwerken auszustatten kann ja nur eine Maßnahme sein bzw. ist nicht das Allheilmittel. Oder? Und könnte es hier ein Geschäftsfeld für dich geben, indem du Leuten ihre Chancen im digitalen Umfeld aufzeigst und sie unterstützt?

Du fragst dich wie mir digital geholfen werden könnte. Hm, das frage ich mich durchaus auch. Das von dir angerissene Thema digitale Bildbearbeitung anzubieten und ggf. mit Druckdienstleistern zusammenzuarbeiten sehe ich für mich eher nicht, da es viele Dienstleister aus dem mittleren Osten gibt, die so etwas „für n Kligger un n Knobb“ schon anbieten, wie man so schön in der Pfalz sagt, und ich diese gar nicht unterbieten kann, selbst wenn ich wollte. Und Bilder in Bildstocks/Bildarchive einzustellen, da habe ich in den letzten Jahren von Kollegen eher schlechte Dinge gehört, wie äußerst mäßige Honorare, teilweise schlechter Service, teilweise Massenware um nur einige Punkte zu nennen. Hier kann ich aus eigener Erfahrung aber nicht mitreden.

Tendenziell sehe ich eher als erfolgversprechend an auf dem Dank deiner Hilfe durch das Erstellen der Website möglichen Weg weiterzumachen, immer wieder Bilder in den Blog zu stellen und evtl. das Thema Soziale Medien noch etwas auszubauen. Hier werde ich noch stärker an den Ball gehen (müssen), was durchaus auch bedeuten würde, dass ich meine Digitale Kompetenz stärken sollte und müsste. 😉

Annette Schwindt gezeichnet von tutticonfetti

Wie man das mit der Isolation schafft? “Muss ja”, wie der Norddeutsche sagt. 😉 Nee, im Ernst: Wir sind ja durch unsere gesundheitliche Situation langes Drinbleiben-Müssen schon gewohnt. Und dann schadet es natürlich auch nicht, wenn man sich ohnehin fast nie streitet und überhaupt sehr lieb hat. 😉 Aus dem Schlafzimmer haben wir immerhin Aussicht auf Grün. Mit Abstand und Maske kommen ein paar Leute schon an die Tür und die Haushaltshilfe kommt einmal die Woche rein. 

Wir könnten hier bestimmt mal raus spazieren gehen, wenn sich die anderen an die Regeln halten und Rücksicht nehmen würden. Die Rheinpromenade ist ja direkt vor der Tür, aber leider immer voller Leute. Und mal eben schnell in den Wald fahren oder sonst wohin, kannst Du mit nem Tetraplegiker halt nicht. Da ist jedes Rausgehen mit Aufwand verbunden und man müsste vorher sicher sein, dass andere auf Abstand bleiben und wir da rollitechnisch klarkommen. Letzteres ist schon ohne Corona schwer genug…

Aber wie gesagt: Wir kommen jetzt seit März gut klar. Und “Besuch” haben wir ja auch sonst oft virtuell, da viele unserer Freunde weit weg wohnen. Jetzt machen wir es eben mit den Freunden, die in der Nähe leben, auch so. Und sogar die Schwiegereltern haben mit um die 80 noch Videotelefonieren via Whatsapp gelernt! 

Ich hätte ehrlich gesagt gedacht, dass die Nachfrage nach digitaler Bildung jenseits von Schule etc. größer wird. Jetzt sollte man doch sehen, was dadurch alles leichter wird und wie man dadurch auch Ressourcen sparen kann. Es ist zum Heulen, wenn man weiß, was alles möglich wäre und dann sieht, was alles nicht passiert. 

Das liegt aber auch daran, dass die alten Medien das Internet konsequent gebasht haben. Berichtet wird vorwiegend über negative Seiten und technische Aspekte, das Netz wird weiter als ominöse Parallelwelt beschrieben. Dieses Narrativ vom “bösen Netz” macht den Leuten Angst. Und wenn es im Fernsehen gesagt wird, oder in der Zeitung steht, dann muss es doch stimmen… (Dieses “Querdenken” gab es auch schon vor Corona.) 

Ja, funktionierendes Netz als Grundausstattung ist in anderen Ländern längst selbstverständlich. Da hat Deutschland tatsächlich den Anschluss verpennt. Aber selbst wenn das gegeben wäre und jeder mit der nötigen Technik ausgestattet wäre, braucht es ja noch Menschen, die die nötigen Kenntnisse vermitteln. Die meisten Eltern oder Lehrer haben das nötige Wissen gar nicht. Und das Märchen von digital native hilft auch nicht. Dieser Begriff besagt ja nur, dass für diese Menschen die Existenz digitaler Medien eine Selbstverständlichkeit ist. Etwas das sie als gegeben voraussetzen. Deswegen wissen sie noch lange nicht automatisch, wie das richtig benutzt wird. Sie gehen nur unbefangender dran und wissen, wie man sich wo die passenden Anleitungen beschafft. Das zu vermitteln würde sicher schon mal viel helfen.

Ich hab viele Jahre lang versucht, Hilfestellungen zu mehr Medienkompetenz zur Verfügung zu stellen. Aber das Meiste muss ich heute immer noch erklären, da hat sich nicht viel getan. Das auf der einen Seite und die Verkommerzialisierung des ursprünglich völlig anders gedachten Internets auf der anderen hat mich so frustriert, dass ich das Erklärbarentum an den Nagel gehängt hab. Ich konzentriere mich seitdem auf das Ermöglichen der digitalen Kommunikation konkreter Projekte und versuche dabei das nötige Anwenderwissen weiterzugeben.

Die technischen Möglichkeiten entwickeln sich derweil rasend weiter, man muss sich immer weiter spezialisieren um dranbleiben zu können und sich gut vernetzen, um alle nötigen Bereiche im Blick behalten zu können. Die Schere zwischen denen, die die Technik zu nutzen wissen, und denen, die sich nicht ran trauen oder verweigern, wird dabei immer größer… 

Wie siehst Du diese Entwicklung und wo würdest Du Dich einordnen? Hat sich für Dich durch Corona etwas an der Nutzung digitaler Möglichkeiten in Deinem Leben geändert, das Du nachher beibehalten möchtest, oder das Du noch in Angriff nehmen willst?

Klaus Venus

Hm, wo ich mich bei dieser Entwicklung sehe, ist einigermaßen schwierig zu erläutern. Ich muss teilweise indirekt antworten. Ich finde es grundsätzlich gut, dass wir mittlerweile soziale Medien und Internet und so weiter haben, sehe und habe aber auch teilweise Nachteile und stehe somit dem Ganzen zumindest manchmal negativ gegenüber. Ich war z.B. schon von Bilderklau betroffen, habe diesen Prozess aber gewonnen. Ich erlebe immer wieder wie z.B. bei Facebook in Diskussionen jegliche Hemmschwelle unterschritten wird, muss leider feststellen, dass auch in 2020 zu viele Leute davon ausgehen, dass im Web vorhandene Inhalte „fer umme“ zu haben sind. Sehe ich das Ganze von dieser Seite aus, dann stehe ich diesem Ganzen negativ gegenüber.

Schaue ich auf Vorteile wie leichtere Recherche von Reisezielen, Routenplanung, Schnelligkeit der Fotografie, E-Mail-Verkehr, einfachere Abwicklung von Geschäften, Bildversand, was weiß ich noch alles, dann stehe ich diesem Ganzen positiv gegenüber. Hier kommt nun nochmal ein Aber, denn gerade die digitale Fotografie macht mir zumindest zum Teil das Leben schwerer. Mittlerweile sind so viele Leute auf dem Markt, die nur Dank ihrer Technik, sprich ihrer Digitalkamera und der Software, überhaupt brauchbare Bilder erstellen können und somit den ernsthaften und engagierten Fotografen teilweise Geschäft wegnehmen. Unterm Strich sehe ich aber durch Digitalisierung mehr Chancen als Risiken, mehr Möglichkeiten als Hemmnisse und daher sehe ich sie positiv.

Auch ich könnte digital deutlich affiner sein, mehr Möglichkeiten nutzen, mehr draus „machen“, schätze aber auch „alte“ Dinge und kombiniere alt und neu gerne. So lese ich z.B. meine Zeitung lieber auf Papier als auf dem Tablet, habe Bilder lieber gedruckt an der Wand als im Leuchtrahmen, telefoniere lieber statt z.B. Skype zu nutzen oder Zoom, um nur mal einige kleine Beispiele zu nennen. Die von dir angesprochene Spezialisierung sehe ich auch und befürchte, dass wir Menschen hier langfristig Nachteile erleiden werden, wenn wir alle nur noch für irgendwas (man verzeihe mir dieses doofe Wort) spezialisiert sind, aber nicht mehr das große Ganze erfassen können, sozusagen keinen Plan mehr haben, etwas platt ausgedrückt nicht mehr ohne Rezept aus dem Internet wissen wie man Wasser kocht. Ich könnte hier einige Beispiele anführen, was allerdings den Rahmen dieses Gesprächs sprengen würde.

Somit stehe ich dieser Entwicklung etwas skeptisch gegenüber und sehe mich selbst auf einer Skala von bis zu 100% Digitalisierung etwa bei 50% mit einer Entwicklung zu 60%. Ob ich mehr erreichen will, soll, müsste, bezweifle ich derzeit.

Deine zweite Frage könnte ich kurz und knapp mit „Nein, es hat sich nichts geändert und somit gibt es nichts beizubehalten oder in Angriff zu nehmen“ beantworten, ich antworte doch aber gerne etwas ausführlicher. Ich denke, ich habe für mich einen guten Grad an Nutzung digitaler Möglichkeiten erreicht und somit nicht vor, hier noch größer zu investieren bzw. Digitalisierung zu nutzen. Daher änderte sich auch durch Corona nichts. E-Mail, iMessage, sms, Telefon und Messenger habe ich bereits vorher genutzt, weitere Messenger-Dienste wie Signal, Telegramm oder WhatsApp habe ich nicht vor zu installieren. Hier habe ich vor einigen Wochen eine Diskussion mit einem Freund geführt, der mir vorwarf, ich wäre hier total altmodisch und ich solle doch endlich mal in der Gegenwart ankommen. Mein Argument, dass z.B. WhatsApp Zugriff auf das Adressbuch will und ich in diesem Telefonnummern habe, um deren Geheimhaltung ich gebeten wurde, ließ er nicht gelten. Dieses Beispiel schildere ich dir auch in Bezug auf deine erste Frage, denn diese Datensammelwut von Firmen, seien es die großen vier aus den USA oder andere aus China ist in meinen Augen ein großes Negativum der Digitalisierung.

Wenn ich nun schreibe, dass ich durchaus überlege, u.a. auf Anregung von dir, z.B. Skype zu installieren und einen Account bei Instagram oder LinkedIn, so haben diese Überlegungen nichts mit Corona zu tun, sondern damit, wie ich mich und meine Fotografie bewerben und bekannter machen möchte.

Du hast angesprochen, dass in deinen Augen viele Eltern und Lehrer nicht das nötige Wissen haben, digitale Kompetenz zu vermitteln, wobei ich dir absolut Recht gebe. Was fehlt deiner Meinung nach, wie sollten Eltern, Lehrer und Schulen digitale Kompetenz vermitteln, wo wäre der erste Ansatzpunkt und welche, hoffentlich und sehr wahrscheinlich positive, Auswirkungen hätte dies auf unseren Umgang mit Corona, wenn z.B. die Schulen schon so digital wären, wie wir zwei dies für sinnvoll hielten?

Annette Schwindt gezeichnet von tutticonfetti

Es würde dazu führen, dass mehr Menschen effektiv von zuhause aus arbeiten könnten und richtiger Unterricht auf digitalem Weg stattfinden könnte (statt Notbehelfsmaßnahmen). Natürlich kann jemand, der im produzierenden, medizinisch/pflegenden oder handwerklichen Gewerbe oder einem Beruf wie Deinem arbeitet, dies schwer von zuhause aus tun. Aber die, denen jetzt nur das Know How und die Ausstattung fehlen, könnten es schon. Und Corona wird sicher nicht der letzte Ausnahmezustand sein, bei dem das nötig wird. 

Was das produzierende Gewerbe angeht, werden außerdem früher oder später viele dieser Tätigkeiten ohnehin von KI (künstlicher Intelligenz) übernommen werden. Da wäre die Zwangspause vielleicht eine gute Gelegenheit zur Weiterbildung? Warum wird sowas nicht gefördert?

Und wo die Bildung herkommen soll? Es gibt genug Leute wie mich, die gern weiterhelfen. Man müsste halt mal von der deutschen Bürokratisierung weg, die für alles und jedes erstmal nen Schein braucht. Es gibt wunderbare Bücher und Videotrainings, die jeder nutzen kann, um sich das nötige Wissen anzueignen. So hab ich auch angefangen. Und heute bin ich auch als Mentorin und Begleiterin aktiv, die andere bei ihrem Weg nach und durch Digitalien an die Hand nimmt. 

Nur den ersten Schritt muss jeder selber gehen und es muss eine grundsätzliche Offenheit für Neues da sein. Der kulturelle Wandel, der mit all dem einhergeht, ist längst da. Die Frage ist nur, ob man sich dem neugierig stellt, oder ob man sich wehrt bis es nicht mehr anders geht.

In Deutschland wird vieles für selbstverständlich genommen, was in anderen Ländern alles andere als selbstverständlich ist. Das hat positive und negative Folgen. Vielleicht wirft Corona ja auch einfach nur sehr akut Fragen auf, die man sich hierzulande schon lange hätte stellen müssen und das nicht nur hinsichtlich des Konzepts Erwerbsarbeit. Bisher schaffen es die Deutschen zum großen Teil noch, sich davor zu drücken. Initiativen wie die für ein bedingungsloses Grundeinkommen werden aber plötzlich nicht mehr so belächelt, es gibt lokale Experimente, wie ein anderes Leben aussehen könnte und manch ein europäisches Land implementiert bereits daraus Gelerntes. Warum zeigen die Deutschen da nicht mehr Motivation zu agieren statt zu reagieren?

Klaus Venus

Hm, was soll ich dazu sagen? Ich könnte mir vorstellen, dass viele Menschen Angst vor Veränderung und Neuem haben, weil sie dann ausgetretene Pfade verlassen müssen. Dürften auch wir bereits schon mehrfach erlebt haben. 

Manchmal könnte ich vor Wut in die Tischplatte beißen, wenn z.B. Apple oder Adobe bei Software-Updates Einstellungen oder Funktionen verändern, die komplett am Arbeitsprozess vorbeigehen, wobei manchmal richtig gute Dinge dabei sind. Digitalisierung bringt manchmal so große Änderungen mit sich, dass das Leben vieler Menschen total umgekrempelt wird und sie womöglich in ihrem Job unnötig werden. Hieraus ergeben sich aber auch Chancen, die man allerdings erst mal sehen oder sich eventuell erarbeiten muss und/oder von anderen herangeführt werden muss. Nicht jeder ist so kreativ, sofort eine Chance zu erkennen und auch zu ergreifen. Ich denke, dass dies neben vielen anderen einer der Gründe ist, warum Menschen gerne auf ihrem Althergebrachten beharren und keine Änderung wollen.

In Sachen Schule z.B. hätte man aber schon vor 20 Jahren dringend mit der Schulung der digitalen Kompetenz beginnen müssen…

Ein anderer Grund liegt in meinen Augen in der Bequemlichkeit, denn warum soll man etwas ändern, wenn es doch gut läuft und es uns gut geht? Oftmals ergeben sich Änderungen erst aus bzw. durch Krisen und einschneidende Erlebnisse. Daher hoffe ich, dass diese C-Sache der Aha-Moment für uns alle war, uns zu bewegen und endlich das Thema Digitalisierung anzugehen und ihre Chancen zu ergreifen! 

In diesem Zusammenhang schildere ich mal ein kleines Beispiel, von vielen, aus meinem Alltag: Im Rahmen meines Umzugs vor zwei Jahren von Speyer nach Römerberg musste ich mein Gewerbe ummelden. Ich musste zwingend in Speyer abmelden, um in Römerberg neu anzumelden, da die Ämter nicht miteinander vernetzt sind. [Anm. Annette: Römerberg ist eine Gemeinde direkt neben Speyer] Und natürlich musste ich zweimal zahlen… Scheiß auf das Geld, aber wieso konnte ich das nicht einfach per Mausklick machen?! Hoffentlich ändert sich hier bald etwas…

Ich nehme an, du könntest noch viel mehr Beispiele schildern, bei denen du nur noch den Kopf schütteln könntest?

Annette Schwindt gezeichnet von tutticonfetti

Aber hallo! 🙂 Gerade, was Ämter betrifft. So wurde dieses Jahr die Briefwahl hier in Bonn bei der Stichwahl zum Oberbürgermeisterposten schier versemmelt, weil die Unterlagen nicht rechtzeitig rausgegangen sind. Manche haben sie fristgerecht bekommen, während wir und andere quasi nur noch kurz vor knapp unsere Stimmen abgeben konnten.

Oder die Geschichte von einem Kollegen, der dringend ein Formular kurz vor Ablauf der Frist auf einem Amt abgeben musste. Also dachte er sich: die haben das auf der Website, dann lade ich es mir runter, fülle es aus und schicke es per Mail – das geht am schnellsten. Gesagt, getan. Nach Ablauf der Frist rief das Amt an, wo denn das Formular sei. Er ganz genervt: Hab ich doch gemailt. Darauf das Amt: Die Formulare auf der Website sind nur zum Ausdrucken da. Man muss die trotzdem manuell ausfüllen und per Post abgeben, damit sie dann im Amt eingescannt werden können. Man brauche die nämlich digital. – Ja, an der Stelle hab ich auch gelacht. Dann hat mir ein Kollege, der Ämter in Sachen Digitalisierung berät gesagt, dass das eine Datenschutz-Sache sei. Der Rechner, auf dem die Mails ankommen, und der Rechner, auf dem die Formulare eingescannt werden, dürften keine Schnittstelle haben. Das digital ausgefüllte Formular ausdrucken und drüben einscannen geht aber auch nicht, weil dann die Unterschrift nicht mehr gilt… Typischer Fall von #HURZ

Aber schon interessant: Wir wollten uns zuerst über Soloselbständigkeit in Pandemiezeiten unterhalten und es wurde ein Gespräch über Digitalisierung. 🙂 Gibt es noch etwas, das Du dazu oder zum ursprünglichen Thema loswerden möchtest? 

Klaus Venus

Deine Beispiele sind ja allerliebst. Auch da kann ich nur den Kopf schütteln. Wohlgemerkt, ich achte Datenschutz sehr und er ist der Hauptgrund, warum ich z.b. Whatsapp nicht nutze. Er kommt mir aber manchmal auch als Totschlagargument vor, damit man das Thema Digitalisierung nicht angehen muss.

Nun, wir haben uns über das Thema Leben und Arbeiten in Pandemiezeiten unterhalten, etwaige Verbesserungen des Lebens und Arbeitens in diesen seltsamen Zeiten sind aber nun mal eher nicht ohne Verbesserung im großen Bereich Digitalisierung möglich und somit gehen beide Themen für mich ineinander über. Ich denke, dass das Wesentliche gesagt wurde, wobei im persönlichen Gespräch das eine oder andere vielleicht noch ausführlicher und oder anders erläutert werden könnte.

Annette Schwindt gezeichnet von tutticonfetti

Das machen wir. Und vielleicht können wir ja auch in ein paar Jahren nochmal an dieses Gespräch anschließen und sehen, was sich bis dahin verändert hat. Danke, dass Du Dir bis hierher schon die Zeit genommen hast. 🙂

Über meinen Gesprächspartner

Klaus Venus

Klaus Venus ist als professioneller Fotograf täglich in der gesamten Rhein-Neckar-Region und in der Pfalz unterwegs und hat auch sonst immer eine Kamera dabei. Dadurch und schon bei seiner früheren Tätigkeit als Gastronom lernt er immer wieder neue Menschen kennen und bekommt Einblicke in deren Lebens- und Arbeitssituation. – klaus-venus.de

Titelfoto: Klaus Venus
Illustration von Annette: tutticonfetti

In meiner Rubrik „Bloggespräche“ unterhalte ich mich mit einem Gegenüber über ein frei gewähltes Thema wie in einem Mini-Briefwechsel. Wer auch mal so ein Gespräch mit mir führen möchte, findet alle nötigen Infos dazu unter https://www.annetteschwindt.de/bloggespraeche/ und kann sich von dort direkt bei mir melden.


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