Von Russland im Odenwald und anderen falschen Wegen

Andere Länder, andere Sitten. Das lernt der Speyerer nicht nur bei seinen Reisen, das lernt der Stadtführer auch von den Touristen. Diese Tätigkeit habe ich über mehrere Jahre und in verschiedenen Sprachen in meiner Heimatstadt Speyer ausgeübt.

Für gewöhnlich erntet man neben Applaus und warmem Händedruck auch schon mal gern ein Trinkgeld. Dass einem aber gleich militärische Auszeichnungen zuteil werden, das widerfuhr bislang nur einer meiner ehemaligen Kolleginnen. Sie zeigte einer russischen Gruppe die Schönheiten der Domstadt und wurde prompt mit dem Kuss eines Generals nebst Ordensverleihung und Wimpel belohnt. Ein anderer Kollege bekam von seiner chinesischen Touristenschar immerhin einen Strauß Blumen geschenkt und wurde zum Essen eingeladen. 

Interessant sind vor allem die Fragen, mit denen man als Stadtführer von ausländischen Gästen konfrontiert wird. „War das Haus im Mittelalter auch blau gestrichen?“, „Heißt die Untereinheit des Speyerer Schuhs dann Speyerer Zeh?“‚ oder „Wie weit ist es von hier bis zu Hitlers Königsschloss in Moskau?“ Oder die zu vorgerückter Stunde schon von Alkohol umnebelte Frage mit Blick aufs Landesmuseum: ,,Warum hat Euer Freudenhaus blaue statt rote Beleuchtung?“ 

Aber es gibt auch disziplinierte Gäste. Japanische Reisegruppen planen ihre Speyer-Tour genauestens durch: 10 Uhr Ankunft Domhauptportal, 10.15 Uhr Fotostopp, 10.30 Uhr Heidentürmchen, 10.40 Uhr Fotostopp und so weiter… Und während sie die Sehenswürdigkeiten durch die Linse ihrer Kameras betrachten, stecken andere ihre Nase tief in die mitgebrachten Reiseführer. So sind zum Beispiel belgische Schiffstouristen oft schon bestens informiert, bevor sie überhaupt an Land gehen. 

Manche Besucher glauben gar, alles besser zu wissen, als Einheimische. „Schau mal da“, sagt eine ältere Tourteilnehmerin zu ihrem Mann, als sie vor dem berühmten romanischen Kaiserdom stehen, „das haben sie aber schön gebaut. Als wir vor zehn Jahren da waren, gab‘s die Kirche noch nicht.“ Auf den vorsichtigen Hinweis eines Speyerers hin, dass dies der Dom sei, der schon seit beinah 1000 Jahren da steht, belehrt ihn die Frau nur: „Nein Nein Nein. Sie haben ja keine Ahnung. Der Dom ist doch neugotisch und steht ganz woanders. Den haben wir damals nämlich besichtigt.“ (Gemeint war die protestantische Gedächtniskirche, aber egal…)

Die Mitglieder einer afrikanischen Reisegruppe kamen aus dem Wundern nicht mehr heraus. Als ich ihnen davon erzählte, dass Kaiser Konrad II. mit dem Dombau ein Zeichen seiner Macht setzen wollte, brachen alle in schallendes Gelächter aus. Ich führte die Gruppe in französischer Sprache, was von dem Dolmetscher der Gruppe wiederum in ihre eigene Sprache weiterübersetzt wurde. Also dachte ich mir zunächst nichts dabei und vermutete einen Scherz des Übersetzers. Als sich jedoch bei meiner Anmerkung, dass der Enkel des Domgründers u.a. mit höheren Türmen ein Zeichen seiner umso größeren Macht setzen wollte, die Gruppe kaum noch vor Lachen halten konnte, fragte ich nach, was den so lustig sei. „Sie fragen sich, ob die Europäer total verrückt sind“, erklärte mir der Dolmetscher. „Wo sie herkommen, demonstriert die Größe der Ziegenherde, wie wichtig jemand ist. Und nun fragen sie sich, wieviele Ziegen man für das Ding wohl hätte kriegen können.“

Auch der Jakobspilger verunsicherte sie. Warum der denn heilig sei, wollten sie wissen. Ich erklärte geduldig, dass nicht der Pilger heilig sei, “sondern, der, zu dessen Grab er wandert. ,,Wieso steht dann der hier und nicht der Heilige?“, wunderten sie sich.

Zu großem Zungenschnalzen (Äußerung des Erstaunens) führte schließlich der Ausblick vom Stadturm. „Ist das da hinter dem Fluss noch Deutschland?“, wollte einer wissen.
Ja, sagte ich.
Der Mann zeigt in Richtung Heidelberg, „und da hinter dem Berg auch noch?“
Ja.
,,Und dahinter?“
Da auch.
„Und da dahinter?“
„Naja, wenn Sie lang genug laufen, kommen Sie irgendwann nach Russland“, lautete meine scherzhafte Antwort.
Da drehte sich der junge Mann zufrieden zu seinen Freunden um und zeigte mit ausgestrecktem Arm zum Odenwald. „Seht Ihr das?“, fragte er, „Das da ist Russland.“ 

Komplett skurril wurde es schließlich mit einer Gruppe älterer Herren, die alle sehr freundlich waren. Bis auf einen, der sich die ganze Zeit nur lauthals beschwerte. Kirchen? Nein, in Kirchen gehe er nicht rein. Und was? Mikwe? Nein in ein jüdisches Ritualbad gehe er schon gar nicht. Okay, sollte er wie bei den Kirchen eben draußen auf die anderen warten. Doch bei der Mikwe konnte er nicht vor der Eingangstür warten, sondern musste zumindest das Areal betreten, da der Ausgang am anderen Ende desselben liegt. Das wusste er aber nicht und stürmte, kaum dass er seine Gruppe wieder auftauchen sah, Richtung Eingang statt Ausgang los. Nun kennt man als Stadtführer nicht den Namen jedes einzelnen Teilnehmers einer Gruppe. Meine daher etwas hilflosen Versuche, den Herrn mit Hallo zur Gruppe zurück zu rufen, übernahm der Gruppenleiter mit volltönender Stimme, die über das ganze ehemals jüdische Viertel hallte:“Adolf! Adolf, das ist der falsche Weg!“

Titelfoto: Götz Friedrich, Pixabay


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