Seit unserem letzten Bloggespräch unterhalten Bettina Belitz und ich uns online beinah täglich über alles Mögliche. Was dabei immer wieder auftaucht, sind unsere Erfahrungen mit dem Thema Offenheit. Ich schreibe hier immer wieder Artikel, in denen ich sehr offen mein Leben beschreibe. Auch Bettina gibt auf ihren Social-Media-Kanälen einiges von sich preis. Wir beide erleben, dass das Vertrauen schafft und anderen oft hilft, mit ähnlichen Situationen umzugehen. Aber es gibt natürlich auch immer wieder Menschen, die versuchen, einem einen Strick aus der eigenen Offenheit zu drehen. Zeit für ein eigenes Bloggespräch zu diesem Thema:
Wir beide kennen uns ja schon aus der Schulzeit, haben uns aber erst besser kennengelernt, nachdem wir uns vor neuen Jahren auf Facebook wiedergefunden haben. Das funktioniert nur, weil wir beide offen miteinander umgehen. Ich habe damit bisher fast ausschließlich gute Erfahrungen gemacht und mehr als einmal erlebt, wie daraus wunderschöne Dinge entstanden sind. Wie geht es Dir damit?
Mir geht es da wie Dir – durch meine Offenheit entstehen nicht nur wunderbare Begegnungen mit Menschen, die mir bereits vertraut sind, sondern auch mit völlig Fremden. Bei meinen Splitterherz-Exkursionen zum Beispiel, auf denen meine Leser mich in Kleinstgruppen sehr nahbar und persönlich erleben, habe ich beim Verabschieden oft das Gefühl, Zeit mit Freunden verbracht zu haben, und mich durchströmt dabei Dankbarkeit und aufrichtige Freude. Ohne ein offenes Herz wäre das vermutlich nicht möglich.
Allerdings war ich früher ganz anders gepolt und bin auch in einer anderen Prägung aufgewachsen – es galt, sein Innerstes so lückenlos wie möglich vor fremden Blicken zu verbergen. Wie sah das bei Dir aus? Wurde Dir diese Offenheit in die Wiege gelegt oder musstest du sie Dir erarbeiten?
Ich war soweit ich mich erinnere schon immer so. Das führte einerseits zu tollen Begegnungen, von denen einige bis heute anhalten. Andererseits bin ich aber auch oft verletzt worden. Heute denke ich darüber, dass ich es wenigstens versucht habe und mir treu geblieben bin. Ich versuche, es weiterhin so zu halten, auch wenn es manchmal zu Schmerz führt. Aber wenn es auf positive Antwort trifft, ist das, was man erleben darf, umso schöner. Ohne Schatten kein Licht…
Manchen Menschen scheint das unheimlich zu sein. Sie vermuten hinter allem versteckte Absichten und Berechnung. Für mich ist das eine Denkweise, die ich überhaupt nicht nachvollziehen kann. Ich kann nur so sein wie ich bin und das ist nun mal offen. Ich scheine das auch auszustrahlen, denn seit ich denken kann, kommen Menschen mit ihren Problemen zu mir. Schon in meinem ersten Zeugnis steht, dass ich Ungerechtigkeit nicht ertragen kann und immer versuche, für alle da zu sein. Lernen, Nein zu sagen, ist bis heute eine große Herausforderung für mich.
Wie ist das bei Dir? Was Du oben gesagt hast, klingt ja eher, als hättest Du den umgekehrten Weg hinter Dir?
Sagen wir so: In meiner Jugend war es eine wilde Mischung aus dem für mich ganz natürlichen Bedürfnis, offen zu sein, und der “preußischen” Prägung, meine Mitmenschen nicht mit Privatem zu behelligen. In der Umsetzung bedeutete das also, dass ich spontan aus dem Herzen heraus über meine Gedanken und Gefühle sprach, gefolgt von der Angst, etwas verkehrt gemacht zu haben, worauf ich mich wieder zurückzog. Für meine Mitmenschen ein widersprüchliches Verhalten und insofern kann ich gut nachvollziehen, dass einige von ihnen damit in Reibung gingen und schlichtweg nicht wussten, wie sie mit mir umgehen sollten.
Irgendwann habe ich erkannt, dass ich am wenigsten verletzlich bin, je nahbarer ich mich gebe. Auch erwarte ich dabei nicht mehr, dass meine Mitmenschen mich verstehen, oder gut finden, was ich da tue. Je nach Geisteshaltung, in der sie groß geworden sind, kann das für sie tatsächlich ziemlich “spooky” sein und das gilt es für mich zu respektieren.
Ich bin in erster Linie mir zuliebe offen, weil diese Lebensweise für mich viel entspannender ist, als krampfhaft Dinge zu verbergen. Seitdem ich das so handhabe, habe ich keine schlechten Erfahrungen mehr mit meiner Offenheit gemacht. Selbst bei Konflikten wirkt sie deeskalierend. Und wenn sie dann auch noch andere Menschen inspiriert, sich ebenfalls zu öffnen, ist das doch wunderbar. 🙂 Denn wahrhaft verbergen können wir sowieso nichts.
Was war denn Dein schönstes Feedback, das Du als Reaktion auf ehrliche und offene Worte bekommen hast?
Oh, das werde ich wohl nie vergessen! Ich habe ja schon öfter über meine gesundheitliche Situation geschrieben. Auch schon zu Zeiten von schwindt-pr. Meine Community war mir da auch eine große Stütze. Einige Fans haben richtig aufgepasst, dass ich auch ja genug auf mich achte.
Eines Tages bekam ich dann eine Privatnachricht auf meiner Facebookseite: Eine Frau erzählte mir, dass sie beinah ihr Leben beendet hätte, weil es ihr gesundheitlich so schlecht ging, dass sie alles verloren hatte: Ihren Job, ihre Freunde, ihre Beziehung. Aber dann stolperte sie online über einen Artikel von mir, in dem ich über meine Situation geschrieben hatte und wie ich auch mit diesen Problemen eben von zuhause, ja manchmal sogar vom Bett aus rein digital arbeitete. Das hat ihr solchen Mut gemacht, dass sie anfing sich ebenfalls in digitale Kommunikation einzuarbeiten und Leute zu beraten. An dem Tag, an dem sie mir schrieb, hatte sie zum ersten Mal ein Honorar bekommen, das es ihr ermöglichte, ihre Rechnungen wieder selbst zu bezahlen. Und das tut sie heute noch.
Ich denke, schon allein für solche Beispiele hat es sich gelohnt, offen zu sein. Und wer weiß, wie viele das noch beeinflusst, von denen ich nur nichts erfahre, weil sie sich nicht zu kommentieren trauen? Jedenfalls ermutigt mich das, weiter offen durchs Leben zu gehen.
Wie ist das bei Dir? Welche guten Erfahrungen hast Du schon mit Deiner Offenheit gemacht?
Ich bekomme immer wieder Mails von Leserinnen, die sich durch meine Offenheit ermutigt fühlen, ebenso offen zu sein – und so manche dieser Zeilen haben mich zu Tränen gerührt. Eine Leserin schrieb mir zum Beispiel, dass sie durch meine Bücher und Postings nach viel innerem Schmerz den Weg zur Selbstliebe gefunden hat – das sind Momente, in denen ich wieder ganz genau weiß, warum ich schreibe und mich dafür entschieden habe, dabei nahbar zu bleiben.
Eine andere Leserin fand den Mut, mir ihre Krankheitsgeschichte zu erzählen und davon, wie meine Bücher ihr dabei geholfen haben, sie zu überstehen. Auch haben einige Leserinnen durch Splitterherz und meine autobiografischen Postings zu meiner Heldin Ellie erkannt, dass sie hochsensibel sind. Ich glaube, dass das nicht geschehen würde, wenn ich mich stets bedeckt geben würde und die Türen meines (nicht vorhandenen) Elfenbeinturms doppelt und dreifach verriegeln würde. Die Leser wissen: Hinter den Büchern steht ein Mensch aus Fleisch und Blut, bei dem nicht alles perfekt ist. Das schafft Vertrauen.
Ich scheue also nicht davor zurück, mich fehlbar zu geben. Natürlich kann es passieren, dass andere glauben, damit spielen zu können. Doch wenn ich zu meiner Fehlbarkeit stehe, wird dieses Spiel rasch langweilig. Meine Agentin hat mich trotzdem einst davor gewarnt, ein autobiografisches Skript über den Weg aus meiner Burnout-Krise 2012 zu veröffentlichen, und ich habe darauf gehört – im Nachhinein betrachtet zum damaligen Zeitpunkt sicherlich eine gute Entscheidung. Dennoch glaube ich, wir können anderen Menschen am besten helfen, indem wir authentisch bleiben.
Wie gehen denn die Menschen, die Dir nahestehen, mit Deiner Offenheit um? Ist sie ihnen manchmal unangenehm oder unterstützen sie Dich darin?
Ja, mein Weg zur Selbsterkenntnis in Sachen Autismus-Spektrum fing unter anderem auch mit Ellies Hochsensibilität in Splitterherz an. 🙂
Was Thomas angeht, so bin ich ihm wohl gerade wegen meiner Offenheit positiv aufgefallen, und er mir auch. Natürlich heißt das nicht, dass es in unserer Kommunikation nach außen keine Grenzen gäbe. Darauf achten wir schon. Meine Beiträge lasse ich daher auch immer erst gegenlesen und bearbeite sie gegebenenfalls nochmal, bevor sie online gehen.
Unter meinen Freunden ist es ähnlich. Auch von ihnen bekomme ich hauptsächlich positives Feedback auf meine offene Art. Nicht jeder hält es selbst genauso, aber das müssen sie ja auch nicht.
Gerade in Social Media ist es für viele ein Riesenproblem: Wie offen sollte ich sein, wo ziehe ich die Grenze? Dabei ist das ja online eigentlich nicht anders als offline auch: Was ich nicht in der Zeitung lesen wollen würde, das sollte ich auch nicht online posten.
Wo ziehst Du die Grenze? Und was würdest Du anderen raten, wie sie die für sie passende Grenze finden?
Ich ziehe dort Grenzen, wo die Privatsphäre und Schutzzone meines Sohnes tangiert werden würde, sobald ich offen darüber sprechen würde. Auch reflektiere ich bei persönlichen Themen, die direkt oder indirekt mit meiner Familiengeschichte zu tun haben, inwieweit meine Geschwister betroffen wären und versuche, hinein zu spüren, wo eine sensible Grenze für sie überschritten wäre. Ansonsten versuche ich immer deutlich zu machen, dass das, was ich schreibe und erzähle, auf meiner Wahrnehmung beruht und keine gültige Wahrheit, sondern eine persönliche Sichtweise ist.
Ich glaube auch, dass es ratsam ist, erst dann über emotionale Erfahrungen zu sprechen, wenn sie in einem selbst geordnet und klar sind. Über einen aktuellen schwelenden Beziehungskonflikt zum Beispiel, von dem noch nicht abzusehen ist, wohin er führt, würde ich im Internet nichts nach außen tragen. Stellt sich aber nach einiger Zeit heraus, dass er eine wertvolle Lektion für mich beinhaltet hat und ich der Auffassung bin, sie könnte andere inspirieren, würde ich durchaus davon erzählen und dabei darauf achten, dass die Privatsphäre des anderen Menschen gewahrt wird.
Wahrscheinlich ist es sinnvoll, diese Online-Offenheit so zu handhaben wie emotionale Mails, die man mal rasch in die Tasten gehauen hat – am besten lässt man sie ein oder zwei Nächte ruhen, bevor man sie sich noch einmal durchliest und erst dann entscheidet, ob man sie tatsächlich absendet. Über manche Dinge muss Gras wachsen und sie müssen sich in einem selbst noch setzen.
Ja, und natürlich kann man anecken, ganz gleich, wie achtsam man mit der eigenen Offenheit umgeht. Marc Twain hat mal gewitzelt: “Wir schätzen Menschen, die frisch und offen ihre Meinung sagen – vorausgesetzt, sie meinen dasselbe wie wir.” Wie reagierst du, wenn jemand im Internet mit deiner Offenheit in Reibung geht und glaubt, sie wäre das Tor zu Beleidigungen oder Respektlosigkeit?
Das ist mir online ehrlich gesagt, noch nie passiert. Dafür aber analog ganz oft. Das schlimmste Erlebnis: Ich war Berufsanfängerin und habe – ganz die Autistin – das System Büroklatsch nicht verstanden. Alles, was ich sehen konnte, war, dass hier Mitarbeiter mit zweierlei Maß gemessen wurden und ich einer von denen war, die darunter zu leiden hatten. Als dann der Büroklatsch bei mir ankam und so perfekt zu erklären schien, was da um mich herum passierte, kam ich damit überhaupt nicht klar. Wie gesagt: Mit Ungerechtigkeit konnte ich noch nie umgehen. So wurde ich dann zum perfekten Ziel für Mobbing. Hat natürlich kein gutes Ende genommen und tiefe Spuren hinterlassen.
Heute kann ich von außen drauf schauen, was da passiert ist, und verstehe, dass da furchtbar viel Angst von mehreren Seiten im Spiel war. Damals konnte ich nicht verstehen, warum die Kollegen sich mir gegenüber so verhalten haben. Das war doch völlig unlogisch und unfair. Immerhin habe ich dadurch einiges über mich gelernt.
Auch in Sachen Freundschaft und Beziehungen bin ich mit meiner Offenheit oft angeeckt. Am Anfang fanden die anderen das vielleicht noch spannnend, aber dann wurde es zu anstrengend. Seit ich weiß, woher das kommt, lerne ich, besser damit umzugehen. Und inzwischen habe ich ja auch die richtigen Menschen um mich, die mich genau dafür lieben, wie ich bin. Dafür bin ich sehr, sehr dankbar.
Vielleicht hilft unser Bloggespräch ja anderen dabei, sich zu trauen, offener zu sein und mehr zu sich selbst zu stehen?
Das wäre schön – denn letztlich können wir ja sowieso nicht vor uns selbst weglaufen und je näher wir anderen Menschen kommen oder kommen wollen, desto eher werden sie spüren, ob wir “echt” sind. Und eigentlich sehnen wir uns ja alle nach den echten, offenherzigen und vertrauensvollen Begegnungen. Die glücken jedoch nur dann, wenn wir nicht auf Teufel komm raus verstecken, wie oder was wir sind. Vielen Dank auch hier für Deine Offenheit – und bis zum nächsten Mal? 🙂
Danke Dir für Deine offenen Worte auch hier und ja: gerne wieder! 🙂
Über meine Gesprächspartnerin
Bettina Belitz, an einem sehr sonnigen Spätsommertag 1973 beinahe in einer Heidelberger Bäckerei zur Welt gekommen, wuchs zwischen unzähligen Büchern auf und verliebte sich schon früh in die Magie der Buchstaben. Lesen alleine genügte ihr dabei nicht – nein, es mussten auch eigene Geschichten aufs Papier fließen.
Nach dem Studium der Geschichte, Literaturwissenschaft und Medienwissenschaft arbeitete Bettina Belitz als Redakteurin und Freie Journalistin, bis sie ihre Leidenschaft aus Jugendtagen zum Beruf machte.
Heute lebt Bettina Belitz umgeben von Pferden, Schafen, Katzen und Hühnern als Freie Autorin in einem 400-Seelen-Dorf im Westerwald und tankt auf dem Pferd oder beim Meditieren neue Energien.
Fotos: Annette Schwindt
Avatar von Annette: tutticonfetti
Dies ist mein persönliches Blog, auf dem ich alle meine vorherigen Websites zusammengefasst habe. Daher die buntegemischten Themen: Ich führe Bloggespräche und blogge über Persönliches, Digitales und Kulturelles. Ich liebe es, Menschen zu fotografieren und mich mit Kunst zu beschäftigen. Manchmal schreibe ich auch noch was anderes als Blogbeiträge. Für andere bin ich als Wegbegleiterin in Sachen Kommunikation aktiv. Vor allem bin ich aber eins: Ein Mensch!
2 Antworten auf „Zum Thema Offenheit – Bloggespräch II. mit Bettina Belitz“
Danke an euch beide für diesen Dialog. Er behandelt, was mich beschäftigt: Wie offen will ich sein in meinem Blog? In meiner Hochsensibilität bin ich sehr verletzlich und habe Angst vor Unverständnis, wenn ich über meine traurigen Seiten schreibe, so wie es sicherlich vielen mit depressiven Symptomen geht. Aber ihr habt Recht: Ein einziger Mensch, dem das hilft, ist es wert, darüber zu schreiben. Und mir selbst hilft es auch, denn Schreiben ist für mich eine Art Therapie. Eure Reflexionen machen mir Mut, mich offener zu zeigen. Denn ich liebe es auch, wenn Menschen ehrlich und offen sind.
Ich glaube mir fehlt der Austausch mit Gleichgesinnten. 🙂 also Danke an euch beide, dass hat mir gut getan!
Das freut uns sehr. Danke für Dein Feedback! 🙂