Engage! – Ein Bloggespräch über die Zukunft des Social Web mit Christian Henner-Fehr

Mit Prof. Thomas Pleil habe ich hier vor etwas mehr als einem Jahr ein Bloggespräch darüber geführt, ob unsere Vorstellungen vom Social Web in seinen frühen Jahren eine Utopie waren, oder nicht. Mit einem anderen Wegbegleiter aus meinen Anfangszeiten auf Twitter und Co., Christian Henner-Fehr kam ich kürzlich wieder auf dasselbe Thema zu sprechen. Diesmal anlässlich des In-Kraft-Tretens der DSGVO und der zähen Entwicklungen in Sachen Digitalisierung.

Annette gezeichnet von tutticonfetti

Danke, dass Du Dich zu diesem Bloggespräch bereit erklärt hast, lieber Christian! Du sagtest in unserem Chat, der diesem Gespräch hier vorausging, es habe sich schon was in Sachen Digitalisierung getan, nur eben nicht in die richtige Richtung. Könntest Du das etwas näher ausführen, bitte?

Christian Henner-Fehr

Danke, dass Du mich zu diesem Gespräch eingeladen hast, liebe Annette! Ich habe eben gerade diesen Ausschnitt aus einer Bundespressekonferenz gesehen, in der einige Fragen zur Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) gestellt wurden. Die Ahnungslosigkeit der Sprecherinnen und Sprecher ist deprimierend. Solche Beispiele lassen sich vermutlich in großer Zahl finden, um zu zeigen, dass es bei uns nicht weit her ist mit der Digitalisierung.

Aber die Frage, ob sich bei uns in Sachen Digitalisierung genügend tut, lässt sich nicht beantworten, indem ich Menschen zeige, die von der DSGVO keine Ahnung haben. Der Soziologe Dirk Baecker hat in einem lesenswerten Artikel für die NZZ unseren Weg “von der Stammesgesellschaft über die antike Hochkultur und die Buchdruckgesellschaft zur digitalen Gesellschaft der Gegenwart und der Zukunft” skizziert und von der “epochalen Bedeutung” des jeweiligen Medienwandels gesprochen. Das sind Dimensionen, in denen die Unzulänglichkeiten einzelner Menschen, salopp formuliert, nicht weiter ins Gewicht fallen. Digitalisierung, das bedeutet ja eigentlich erst einmal den Wandel von analoger zu digitaler Datenverarbeitung. Nun geht dieser Wandel aber mit rasender Geschwindigkeit über die Bühne und hat große Auswirkungen auf fast alle Bereiche unseres Lebens.

Manche Experten sind davon überzeugt, dass wir uns gerade auf dem Weg vom Finanzkapitalismus zum Datenkapitalismus befinden. Das hat zum Beispiel Auswirkungen auf unser Steuersystem, das die Besteuerung von Datenbesitz bis heute nicht vorsieht. Aber wenn selbst die deutsche Bundeskanzlerin darüber nachzudenken beginnt, ist die Botschaft in der Politik angekommen. Es tut sich was.

Wir selbst sind tagtäglich mit der Digitalisierung konfrontiert. Ob es um unser Einkaufsverhalten geht, den Bedeutungsverlust der klassischen Fernsehsender, das Aufkommen von Datenplattformen wie Uber oder Airbnb oder immer kürzer werdende Innovations- und Produktzyklen in Wirtschaft und Industrie. Die Welt dreht sich anscheinend immer schneller und stellt sich uns als immer komplexer dar. Darauf haben wir zu reagieren begonnen. Wir nutzen digitale Kanäle für die Kommunikation, beschäftigen uns mit digitalen Assistenten, denken über künstliche Intelligenz nach und wissen, was ein Algorithmus ist. Unternehmen versuchen flexibel zu sein und führen agile Arbeitsmethoden ein. Das klassische Marketing hat ausgedient, stattdessen setzen wir auf “predictive analytics” und versuchen die Zukunft auf Datenbasis vorherzusagen.

Natürlich könnten wir alle schon etwas weiter sein, aber wenig ist es nicht, was wir in den letzten Jahren geschafft haben. Nachholbedarf sehe ich weniger in technologischer Hinsicht, sondern auf einer ganz anderen Ebene: Wir haben, und darum ging es ja auch in Deinem Gespräch mit Thomas Pleil, unsere Utopien aus den Augen verloren und sind in ein Fahrwasser geraten, in dem es vor allem um die Kommerzialisierung geht. In meinen Augen ist das schade, denn ich würde mich eigentlich lieber mit partizipativen Modellen, mit Community-Modellen oder dem Thema Kollaboration beschäftigen als mit dem Return on Investment von Social Media-Aktivitäten. Ich frage mich immer, an welcher Stelle wir falsch abgebogen sind. Weißt Du, wo das gewesen ist? Oder was der Fehler war?

Annette gezeichnet von tutticonfetti

Ja sicher, wir haben einiges geschafft. Aber eben wie Du sagst, vorrangig in technologische Hinsicht.Ich befürchte, es hat so kommen müssen. Denn die ganzen schönen neuen Technologien müssen ja auch irgendwie finanziert werden. Und dann bekommt eben ein Anzeigenmodell, oder ein kommerzielles Premium-Feature Vorrang vor einem kostenlosen Kollaborations-Tool. Ich schätze, Investoren waren (sind?) noch nicht bereit, unsere Idee vom Miteinander-Web wirklich zu verstehen und zu unterstützen. Die denken eben in Kategorien wie dem Return on investement und machen damit immer noch die Regeln. Das hat man ja beispielsweise in der Entwicklung von Facebook gesehen.

Da wird erstmal geschaut, was noch alles machbar ist. Ob und wie sinnvoll das dann ist, die Frage kommt erst hinterher – wenn überhaupt. Es sei denn, der “Sinn” wird in der Kommerzialisierbarkeit gesehen. Es braucht also in gleich mehrfacher Hinsicht einen Sinneswandel.

Was ich mich nur frage: Kann das, wie bei vorangegangenen großen Umwälzungen, ausschließlich mit einer nicht bloß technischen, sondern auch politischen Revolution für die breite Masse funktionieren, wie etwa Richard David Precht warnt? Steuern wir unweigerlich auf einen großen Knall zu? Oder können wir ihn noch abwenden? Und was kommt danach? Eine digitale Diktatur? Das endgültige Abschalten? Oder doch endlich die wunderschöne freie, gleiche, digital vernetzte Welt, wie sie Captain Picard in Star Trek für das 24. Jahrhundert beschreibt:

“…im 24. Jahrhundert gibt es kein Geld. Der Erwerb von Reichtum ist nicht mehr die treibende Kraft in unserem Leben. Wir arbeiten, um uns selbst zu verbessern und den Rest der Menschheit.”

Und wenn ja, müssen wir echt noch so lange darauf warten? 😉

Andererseits: Wären die Menschen heute als Ganzes überhaupt schon reif dafür? Wenn man sich die Kommentarkultur und andere Auswüchse anschaut, dann wohl eher nicht. Ist das, was wir hier führen ein Elfenbeinturm-Gespräch? Fragen über Fragen…

Christian Henner-Fehr

Ja, ich fürchte, bis Geld keine Rolle mehr spielt, müssen wir uns noch etwas gedulden. Aber Geld wird an Bedeutung verlieren. Thomas Ramge und Viktor Mayer-Schönberger behaupten in ihrem – übrigens sehr lesenswerten – Buch “Das Digital”, dass Daten das neue Geld sein werden, indem sie die informationelle Funktion des Geldes übernehmen. Die beiden Autoren sind davon überzeugt, dass datenreiche Märkte die tradionellen Märkte ablösen werden, sehen darin aber auch große Gefahren auf uns zukommen. “Mit Daten lernende Systeme verbessern zwar die Entscheidungsfindung auf datenreichen Märkten, sie machen diese aber auch anfällig für Systemversagen und Konzentrationsprozesse.”

Und hier kommt dann die Politik ins Spiel, die Du selbst und der von Dir erwähnte Philosoph Richard David Precht in seinem verlinkten Artikel ja schon angesprochen haben. Gefragt sind geeignete Rahmenbedingungen für eine Welt, deren Veränderung nicht nur durch die Digitalisierung, sondern unter anderem auch durch die Globalisierung und den demographischen Wandel angetrieben wird.

Was passiert denn im Augenblick? Wir werden beinahe tagtäglich mit neuen technologischen Entwicklungen konfrontiert und müssen die in eine Welt “einbauen”, die sich rasend schnell verändert und das in eine Richtung, die mich persönlich nicht wirklich glücklich macht. Wir ziehen wieder Mauern um die Nationalstaaten hoch, um uns schützen zu können, wir glauben, die Arbeitslosigkeit mit der Herabsetzung sozialer Standards bekämpfen zu können und gehen Hetzern und Populisten auf den Leim. Vielleicht sollten wir uns von der Frage verabschieden, wie wir die neuen Technologien in unsere – tägliche – Welt bringen, sondern uns eher fragen, wie wir unsere Vorstellungen von dieser Welt mit Hilfe der zur Verfügung stehenden technologischen Instrumente verbreiten und Verbündete finden können?

Wir haben ja beide schon mal von den Utopien gesprochen, die uns abhanden gekommen sind. Wenn wir verhindern wollen, dass der digitale Raum zu einer einzigen Werbemaschine verkommt, reicht es nicht zu erklären, dass es auch andere Verwendungsmöglichkeiten gibt. Das Problem liegt eine Ebene darüber. Wir müssen uns dafür engagieren, eine Welt zu schaffen, in der Kollaboration, also das Miteinander als wichtiger angesehen wird als der Kampf gegeneinander.

Brian Solis hat in den letzten Jahren viele Bücher und Artikel rund um das Wort “engage” geschrieben. Ich habe für mich bis heute noch keine adäquate Übersetzung ins Deutsche gefunden, aber dieses eine Verb drückt für mich aus, worum es eigentlich geht. Etwas miteinander tun, wovon beide Seiten profitieren. Die Frage ist, was wir tun können, um aus diesem Gegeneinander ein Miteinander werden zu lassen. Die sozialen Netzwerke sind in meinen Augen ein wunderbarer Platz, wo man das in die Tat umsetzen kann. Denkst Du nicht auch?

Annette gezeichnet von tutticonfetti

Ja klar! So habe ich selbst es von Anfang an praktiziert. Mir ging es dabei nie ums Geld Verdienen, sondern darum, sich ortsunabhängig gegenseitig zu helfen. Einige haben das verstanden und mit mir tolle Projekte gemacht – und machen sie immer noch. Dabei ist ein weltweites Netzwerk aus wunderbaren Menschen entstanden. Viele andere habe den Haken an der Sache gesucht und darauf bestanden, mich finanziell zu entlohnen. Da hab ich dann eben einmal geholfen und dann waren sie wieder weg. Wieviel nachhaltiger es hätte sein können, verstehen sie nicht. Für sie scheint etwas, das nicht finanziell dargestellt wird, überhaupt nichts wert zu sein.

Für mich ist viel interessanter, was ich bewegen kann und wie ich dazu beitragen kann, die Welt ein bisschen besser zu machen. Und das schon, bevor ich das Picard-Zitat kannte. 😉 Oder Johannes Kortens: “Das Netz ist ein guter Ort, wenn wir es dazu machen.

Wie man dabei “engage” adäquat übersetzen könnte…? Vielleicht mit “sich einbringen”? Aber das ist noch zu zaghaft. “Engage” ist viel aktiver, viel kraftvoller. Da fällt mir ein – wo wir schon bei Star Trek waren – dass es dort ganz anders übersetzt wurde. Picard sagt ja im Original am Ende jeder Folge “Engage!”. Im Deutschen aber sagt er: “Energie!” 😉

Zurück zum Thema: Wenn heute etwas ohne Bezahlung gemacht wird, dann wird es gleich Charity genannt, die wieder zur PR verwendet (oder überhaupt nur deswegen angefangen) und bloß dann weitergeführt wird, wenn es sich langfristig finanziell auszahlt. Man kriegt das Geld einfach nicht aus der Gedankenwelt der Leute raus. Deswegen verstehen sie auch solche Konzepte wie ein Grundeinkommen nicht. “Wie, da soll einer Geld kriegen, ohne was dafür zu tun? Dann macht er doch erst recht nix mehr!” – Stimmt nicht! Der Mensch möchte sich einbringen (engage), aber sicher nicht in einen 9 to 5 Bürojob, den er nur des Brötchenverdienens wegen ausübt, egal wie negativ es sich auf ihn und sein Umfeld auswirkt. In Japan nimmt das ja schon völlig groteske Züge an: Da ist es gerade angesagt, in Meetings oder wo immer andere Leute dabei sind, todmüde einzuschlafen, weil man damit zeigt, wie engagiert (!) man im Beruf ist. Sich kaputtmachen als Statussymbol. Wie krank ist das denn? Oder dann das umgekehrte System mit den Sozialpunkten in China, aber auch das wieder nicht freiheitlich ausgerichtet.

Und wie krank das Wiedererstarken von Nationalisten und Populisten ist, davon mag ich gar nicht erst anfangen. Interessanterweise haben genau die um einiges eher verstanden, wie die Mechanismen in den sozialen Netzwerken funktionieren und versuchen das jetzt für sich zu nutzen. Glücklicherweise gibt es inzwischen erfolgreiche Gegenbewegungen. So etwas sollte jedoch nicht nur als Reaktion stattfinden, sondern aus sich heraus. Positives Branding für das Gute. 😉 In der Medienberichterstattung finden die negativen Beispiele oft größere Beachtung. Projekte wie thedailypositive.com oder perspective-daily.de versuchen, dem etwas entgegen zu setzen.

Ich denke, es ist am effektivsten, wenn jeder von uns seinen Teil dazu beiträgt, das Netz und damit die Welt zu einem besseren Ort zu machen. Nur wie macht man den Menschen nachhaltig verständlich, wie das geht? Wir brauchen eine Graswurzelbewegung für das Miteinander!

Christian Henner-Fehr

Das Problem ist in meinen Augen nicht die Bezahlung. Es sind die Strukturen und Prozesse, in denen wir arbeiten. Und, daraus resultierend, unser Denken. Nehmen wir an, es gibt fünf Kultureinrichtungen, die eine bestimmte Nische besetzen. Ich kann als einer von diesen Betrieben die anderen als Konkurrenz sehen. In der Kommunikation bewerbe ich meine Arbeit und meine Angebote, die anderen schweige ich tot. Wenn das alle machen, haben wir 5 Player, die alle völlig isoliert agieren. Dass das der Nische beziehungsweise denen, die sich dafür interessieren, schadet, ist klar.

Die Kulturbetriebe können sich aber auch im Netzwerk zusammenschließen und miteinander arbeiten. Sie informieren nicht nur über ihre eigene Arbeit, sondern über die Nische insgesamt. Dass das Miteinander allen mehr bringt als das Gegeneinander ist klar. Aber es ist unendlich schwer, so etwas dann auch in der Praxis zu leben. Wir sind in einem Zeitalter groß geworden, in dem es darum ging, der oder die Beste zu sein. Sich davon abzukehren und nun zu sagen, dass es besser ist miteinander zu arbeiten, fällt vielen nicht so leicht. Was bedeutet das für die Chefs, was für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter? Wenn in einer Kultureinrichtung der Kampf tobt, welche Abteilung die meisten Aufgaben an sich zieht, damit das Budget größer wird und die Zahl der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter steigt, dann kann man nicht einfach den Schalter umlegen und sich ab sofort als Netzwerk verstehen.

Ich glaube, wir, die wir eher als Einzelkämpferinnen und Einzelkämpfer unterwegs sind, tun uns da leichter als die “Großen”. Und selbst wir fallen immer wieder in die alten Rollenmuster zurück. Vielleicht ist es falsch, anderen Menschen diese Veränderungen erklären zu wollen? Macht es nicht mehr Sinn, das, was wir von den Anderen erwarten, vorzuleben? Wenn es notwendig ist, sich aus den alten Strukturen zu lösen, dann müssten sich ja bei uns die Erfolge einstellen und wir würden früher oder später Nachahmer finden, die aus welchen Gründen auch immer, dieselbe (neue) Richtung einschlagen. Vielleicht schadet es sogar, wenn wir missionieren wollen?

Aber ich kann mir gut vorstellen, dass wir gerade an einem Punkt angekommen sind, wo es leichter ist, die Menschen abzuholen. Wir haben gerade die Einführung der Datenschutzgrundverordnung hinter uns, das EuGH-Urteil hat uns die sozialen Netzwerke madig gemacht. Eigentlich ist das ein guter Zeitpunkt, um sich Gedanken darüber zu machen, wie es weitergehen könnte.

Vielleicht lösen sich die Probleme aber auch von ganz alleine, wenn das Marketing ganz auf künstliche Intelligenz setzt und wir die sozialen Netzwerke nur noch für unser Privatvergnügen besuchen. Das wäre dann zwar das Ende der Social Media-Manager und viele müssten sich plötzlich nach neuen Jobs umsehen. Aber wer weiß, was die großen Trends der nächsten Jahre werden?

Annette gezeichnet von tutticonfetti

Naja, dass “Social-Media-Manager” kein für sich stehender Beruf, sondern nur eine weitere Qualifikation sein kann, haben ja einige schon zu Anfang vorausgesagt. Das bewahrheitet sich jetzt.

Und vorleben kannst Du gerade als Einzelkämpfer viel, wenn um Dich rum keiner kapiert, was Du da treibst. Viele kapieren es ja nicht mal, wenn es gar nicht mehr anders geht. Die DSGVO und der EuGH-Entscheid haben nicht zum Ziel, den Nutzern Social Media madig zu machen. Es geht darum, alle Beteiligten endlich mal zum Nachdenken zu bringen, was sie da eigentlich tun und ob das auf die bisherige Weise sein muss, oder ob es auch anders geht.

Natürlich versteht der kleine Handwerker oder Einzelunternehmer außerhalb des IT-Bereichs das nicht, wenn er noch auf dem Stand ist, dass eine Website mal nebenher läuft und mal schnell vom Neffen per Baukastensystem ins Netz gestellt werden kann. Oder auch kleine Unternehmen, die mit Berater-Bullshit-Bingo eingelullt werden und dafür teures Geld bezahlen, ohne zu verstehen, was der Berater da treibt. Das wäre jetzt der Moment zu überdenken, ob man sich für seine digitale Kommunikation von jemandem so abhängig machen sollte, dass man selbst keinen Einfluss darauf hat, was da mit den Daten passiert? Egal ob das die eigene Website ist, oder Facebook.

Als ich vor acht Jahren in meinen Büchern zu Datensparsamkeit riet, wurde ich als übervorsichtig belächelt. Dann kamen die ersten Skandale und schließlich die DSGVO und siehe da: Plötzlich achten deutlich mehr als vorher darauf, was sie wo eintragen. Aber nicht, weil sie es durchdenken, sondern weil irgendwo Panik gemacht wurde, dass das jetzt so sein müsse. Da ist das Wehklagen groß, was man da jetzt Unmögliches von ihnen verlange. Also schaltet man lieber sein Blog ab, oder seine Facebookseite. Das ist einfacher als Umdenken.

Natürlich wurde die Umsetzung dieser Regelungen schlecht kommuniziert, das geben die entsprechenden Stellen ja inzwischen auch zu. Und es wird nicht zu den gewünschten Ergebnissen führen. Man kann nicht jahrzehntelanges Vernachlässigen der digitalen Kommunikation mit ein paar Regelungen abfangen. Die großen Player, die es treffen soll, winden sich da jetzt mit ihren Juristen wieder auf die für sie bestmögliche Weise raus. Dass die Leute deswegen Facebook in Scharen verlassen, wage ich zu bezweifeln. Es gab ja immer wieder Alternativen wie z.B. Diaspora, die sich dann aber nicht durchgesetzt haben, weil sie nicht dasselbe können wie Facebook.

Vielleicht liegt der Erfolg von Facebook aber gerade darin begründet, wie es mit Daten umgeht? Doch auch hier wird nur mitgemacht, nicht mitgedacht. Fragst Du die Nutzer, ob sie die Fotos ihrer Freunde in Facebook sehen wollen, sagen sie sofort ja. Wenn dieselben Nutzer dann hören, dass Facebook die Nutzungsrechte an diesen Fotos abfragt, schreien sie Zeter und Mordio. Dass Facebook das aber abfragen muss, wenn es die Fotos dazu nutzen soll, sie (wie von den Nutzern selbst beabsichtigt!) den Freunden zeigen zu dürfen, kapieren sie nicht. Da wird lieber dem nächsten Marktschreier nachgerannt, der behauptet, Facebook würde alle Rechte an hochgeladenen Bildern an sich reißen. Dieses Gerücht hält sich hartnäckig, derweil die eben noch Empörten weiter ihre Bilder hochladen und Facebook mitnichten verlassen. Stattdessen postet man lieber einen völlig sinnfreien “Hiermit widerspreche ich…”-Text in sein Profil… Wie gesagt: Mitgemacht ist nicht mitgedacht. Es ist zum Verzweifeln!

Wie kriegt man die Menschen dazu, endlich mitzudenken und damit die digitalen Möglichkeiten bewusst mitzugestalten? Frei drauf los lassen hat nicht funktioniert. Vorleben hat nur sehr bedingt funktioniert und ist spätestens dann gescheitert, als Social Media Mainstream wurde. Ob gesetzliche Einschränkungen die gewünschte Wirkung haben, bleibt zu bezweifeln. Welche Möglichkeiten haben wir noch? Einfach auf die nächste Generation hoffen? Läuft die oben angesprochene Graswurzelbewegung dort schon längst? Oder – und damit zurück zur Ausgangsfrage – war alles nur eine schöne Idee?

Christian Henner-Fehr

Die Frage, ob das alles nur eine schöne Idee gewesen ist, stelle ich mir auch immer wieder. Vielleicht geht gerade die Phase zu Ende, in der das Internet ein zumindest ansatzweise freier Raum war, in dem man unheimlich viel machen konnte. Nun erleben wir, wie der digitale Raum immer mehr reguliert wird, das neue EU-Leistungsschutzrecht steht vor der Türe und wenn wir nicht aufpassen, dürfen wir bald nicht mehr ungefragt (und kostenlos) Links setzen. Die große Mehrheit der Bevölkerung bekommt das gar nicht mit und ich weiß ehrlich gesagt auch gar nicht, ob sie das interessiert.

Aber ich will das Gespräch jetzt nicht so negativ enden lassen. Ich sehe die Digitalisierung und die damit einhergehende Vernetzung schon als große Chance, uns als Gesellschaft ein Stück weit voran zu bringen. Ob das nun Frederic Laloux mit seinem Buch “Reinventing Organizations” ist, Luciano Floridi mit seiner “4. Revolution” oder Clare W. Graves mit seinem Wertemodell. Sie alle zeigen, dass wir uns am Anfang einer neue Epoche oder, wie es Laloux nennt, am Anfang eines neuen Paradigmas stehen. In all diesen Modellen spielen Vernetzung, Kollaboration Kreativität und das Wissen, dass wir der Komplexität der Welt nur miteinander begegnen können, eine ganz entscheidende Rolle. Deshalb glaube ich auch nicht, dass es sich bei dem, was wir in den letzten Jahren erleben durften, nur um eine Episode handelt. Die alten Kräfte wehren sich und versuchen, die Zeit anzuhalten, das ist auch verständlich. Aber sie werden keinen Erfolg haben.

Ich fürchte, es gibt kein Patentrezept, um andere Menschen zum Mitdenken zu animieren und sie von den Möglichkeiten des digitalen Raums zu überzeugen. Vermutlich ist das bei jedem Menschen anders und eigentlich ist das ja auch gut so. Also bleibt uns eigentlich nur, die Dinge so vorzuleben, wie sie uns richtig erscheinen. Vermutlich haben wir da unterschiedliche Ansichten. Aber das ist auch gut so, denn es gibt nicht nur den einen – richtigen – Weg. Dieser Weg lässt sich auch nicht planen. So wichtig es zum Beispiel im Kunst- und Kulturbereich war, den Posten einer Social Media Managerin, eines Social Media Managers zu schaffen. Es war wichtig, das Thema Social Media zu institutionalisieren, ihm einen Platz im Organigramm zuzuweisen und eine bestimmte Stundenzahl. Die natürlich nie ausgereicht hat. 😉

Diese Zeit ist nun vorbei. Kultureinrichtungen haben Unmengen an Content geschaffen und ihn über die Social Media-Kanäle verbreitet. Die Aufnahmekapazitäten derer, die damit erreicht werden sollen, sind erschöpft. Viele glauben, wenn ein Posting nicht gut ankommt, liegt das am Netzwerk, über das es kommuniziert wird. Niemand kann sich vorstellen, dass es an den Inhalten liegt.

Deshalb sollten wir uns wieder mehr auf unsere Inhalte konzentrieren. Wir sollten sparsamer damit umgehen und den Leserinnen und Lesern die Chance geben, diese Inhalte auch wertschätzen zu können. Und wir sollten uns wieder auf das besinnen, was eigentlich die Stärke all dieser Netzwerke ist und im Cluetrain Manifest gleich in der ersten These formuliert worden ist: “Märkte sind Gespräche”! Mit aus diesem Grund hat mir auch unser Bloggespräch so gut gefallen. Ich bedanke mich bei Dir, das wieder mal so erleben zu dürfen.

Annette gezeichnet von tutticonfetti

Oder wie ich es zu Zeiten von schwindt-pr formuliert hatte: „Es geht um Menschen und Gespräche und auf welche Weise wir daran teilhaben.“

Ich danke DIR, dass Du dieses Thema mit mir weitergeführt hast. Es wird spannend bleiben…

Über meinen Gesprächspartner:

Christian Henner-Fehr

Christian Henner-Fehr lebt und arbeitet als Kulturberater in Wien. Er unterstützt Kultureinrichtungen bei ihren Schritten in den digitalen Raum. Nach seinem Studium der Theaterwissenschaft in Erlangen zog es ihn in die österreichische Hauptstadt, wo er am Institut für Kulturmanagement (IKM) der Universität für Musik und darstellende Kunst eine postgraduale Ausbildung zum Kulturmanager absolvierte. Anschließend gründete er sein eigenes Unternehmen CHF Kulturmanagement. Er betreibt seit 11 Jahren das Kulturmanagement Blog und organisiert das stARTcamp in Wien.

Foto von Christian Henner-Fehr: Karola Riegler
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