You can learn to surf – Bloggespräch mit Heike Wanner

Auch wenn ich selbst bisher ausschließlich Sachbücher veröffentlicht habe, begleite ich ebenso gern belletristische Projekte. Zuletzt kam Frauenbuch-Autorin Heike Wanner auf mich zu und bat mich um Hilfe. Mehr dazu in diesem Bloggespräch:

Hallo Heike, vielen Dank dass du dich zu diesem Bloggespräch bereit erklärt hast. Du bist Autorin und hast in den vergangenen Monaten an der Liebesgeschichte zwischen Nika und Ben gearbeitet, die heute als eBook und demnächst auch in Print erscheint (Details zum Buch am Ende dieses Artikels). Als du noch am Anfang der Geschichte warst, hast du mich – damals noch unbekannterweise – um Hilfe gebeten. Wie bist du darauf gekommen, gerade mich danach zu fragen?

Heike Wanner

Das war sozusagen großes Google-Glück: Die Geschichte von Ben und Nika ist zwar zunächst mal eine Lovestory, es geht aber auch um den Alltag eines jungen Menschen, der nach einem Unfall querschnittgelähmt ist und im Rollstuhl sitzt. Hier bin ich beim Schreiben sehr schnell an meine Grenzen gestoßen, denn auf einmal tauchten ganz viele Fragen rund um das Thema Behinderung auf – und ich hatte niemanden, der sie mir beantworten konnte.

Also habe ich gegoogelt und bin beim Projekt 2sames (inzwischen nicht mehr online) gelandet, das du 2003 zusammen mit deinem Mann Thomas gegründet hast. Als Kontakt ist dort dein Name angegeben, deshalb habe ich mich an dich gewandt in der Hoffnung, dass du mir die eine oder andere Frage beantworten würdest.

Dass du das mit so viel Professionalität und Herzblut tust, habe ich vorher nicht ahnen können. Du warst ein riesiger Glücksfall, nicht nur für mich, sondern vor allem für Ben und Nika. Dein Input ging weit über das bloße Liefern von “Rollifacts” hinaus, du bist in die Geschichte eingetaucht, hast mitgefiebert und an vielen entscheidenden Stellen tolle Anregungen gegeben.

Woher kommt diese Motivation? Liest du privat auch Liebesgeschichten? Bist du romantisch veranlagt? Oder was steckt noch dahinter?

Ich bin sehr begeisterungsfähig. Wenn mir etwas Spaß macht, oder am Herzen liegt, dann gebe ich dafür auch viel.

Außerdem schließt sich mit deiner Anfrage bei mir ein Kreis: Ich wollte vor Jahrzehnten auch mal eine ähnliche Geschichte aufschreiben und brauchte damals auch noch Hilfe beim Hintergrundwissen. Bei der Recherche hab ich dann u.a. meinen Mann Thomas kennengelernt und das Romanprojekt geriet in Vergessenheit. Durch meine inzwischen gesammelten eigenen Erfahrungen konnte ich aber jetzt dir mit deinem Buch helfen.

Zu guter letzt liegt mir das Thema natürlich inzwischen sehr am Herzen. Es ist unglaublich, wie vielen Vorurteilen man auch heute noch begegnet, u.a. weil sie gerade in Literatur, Film und Co. hartnäckig weitergetragen werden. Durch meine Mitarbeit konnte ich helfen, dein Buch soweit möglich nicht in Klischee-Fallen laufen zu lassen. Was jetzt die Rezensenten oder das Marketing daraus machen, kann ich allerdings nicht beeinflussen. Dein Manuskript war jedenfalls frei von den üblichen Floskeln wie “an den Rollstuhl gefesselt erträgt er tapfer sein tragisches Schicksal”. 😉

Ich finde es toll, dass du offen für Vor- und Ratschläge warst. Du hättest ja auch sagen können “Moment mal, jetzt mischt sie sich aber zu weit ein”. Hast du denn dabei auch was für dich mitgenommen?

Heike Wanner

Sehr viel! Das beginnt mit einem fehlenden Buchstaben (man schreibt Querschnittlähmung ohne S in der Mitte), geht über die Erkenntnis, dass Rollstühle heutzutage nicht mehr im Oma-Format daherkommen bis hin zu einer veränderten Wahrnehmung. Ich bin sensibel geworden, was Barrieren betrifft, seien sie nun real, sprachlich oder nur in den Köpfen der Leute.

Das bedeutet jedoch nicht, dass ich immer richtig reagiere. Aber ich gebe mir zumindest Mühe.

Und was deine “Einmischung” betrifft: natürlich habe ich mich ab und zu geärgert. Wer hört schon gern Kritik an seiner Arbeit? Dann aber habe ich nachgedacht. Und Änderungen vorgenommen. Letztendlich war die Szene danach viel besser als vorher. Die Liebesszene, zum Beispiel, hätte es ohne unser offenes Telefonat zum Thema nie gegeben.

Wenn ich unsere Zusammenarbeit beschreiben müsste, würde ich sie als “Online-Lektorat” bezeichnen. du warst immer auf Höhe des Textfortschritts.

Arbeitest du öfters so mit Leuten zusammen?

 Ja, ich biete Fachlektorat als Dienstleistung an. Ich habe während meines geisteswissenschaftlichen Studiums auch Lektorat gelernt. Bevor du kamst, habe ich das allerdings nur im Fachbuchbereich gemacht, genauer gesagt bei den WordPress-Büchern von Peter Müller bei Rheinwerk-Verlag. Peter bindet mich allerdings von Anfang an in die Konzeption seiner Bücher und in den Schreibprozess ein. Also liegt die Betonung mehr auf Lektorat, zu der dann eben das Fachbegutachten dazu kommt. Ansonsten arbeite ich mit mehreren Autoren immer mal wieder einfach aus Spaß an der Sache zusammen und wir begleiten uns gegenseitig, so z.B. mit Pål H. Christiansen.

Aber zurück zu deinem Buch: Wie bist du überhaupt auf die Idee gekommen, einen querschnittgelähmten Protagonisten in der Geschichte zu haben, wenn du mit diesem Thema gar keine Erfahrung hattest?

Bei mir war es damals so, dass in der Geschichte, die ich selbst erlebt hatte und aufschreiben wollte, ein Autounfall passierte, der für den betreffenden Freund ein Schädel-Hirn-Trauma zur Folge hatte. Als ich ihm sagte, dass ich seine Geschichte aufschreiben wolle, bat er mich, seinen Fall zu verändern. Also überlegte ich, was man bei einem Autounfall sonst noch an Folgeschäden davontragen könnte und landete damit bei Wirbelsäulenverletzungen und damit Querschnittlähmung.

Wie bist du zu dem Thema gekommen?

Heike Wanner

 Schuld an der grundsätzlichen Entscheidung, einmal eine etwas andere Liebesgeschichte zu erzählen, war eine Romanfigur namens Felix Albrecht.

Dieser junge Mann war in meinem Buch “Liebe in Sommergrün” eigentlich nur als Randfigur angelegt. Doch im Laufe des Schreibens hat er sich – ohne, dass ich das wollte – immer mehr in die Geschichte eingeschlichen und ist mir dabei total ans Herz gewachsen.

Felix ist seit seiner Kindheit gehörlos. Um das Thema möglichst authentisch schildern zu können, habe ich mir die Hilfe einer Expertin geholt. Judith Harter, eine Gehörlos-Bloggerin, stand mir mit Rat und Tat zur Seite.

Bei einem unserer Treffen hat sie mich darauf aufmerksam gemacht, dass es noch viel zu wenige Romanhelden mit Handicap gibt, obwohl die meisten Menschen mit Behinderung ein ganz alltägliches Leben mit Nicht-Behinderten führen.

Ihr Hinweis war letztendlich der Anstoß für mich, über ein neues Projekt nachzudenken, bei dem ich genau dieses Thema aufgreife: Die Liebesgeschichte zweier Menschen, einer davon mit und einer ohne Behinderung.

Ansonsten durchleben Nika und Ben aber genau die gleichen Phasen einer ersten Liebe wie jeder andere auch: Wolke Sieben, rosarote Brille, Schmetterlinge im Bauch, Unsicherheit, Eifersucht etc. Und natürlich darf auch ein wenig Drama nicht fehlen. Sonst wäre es ja langweilig …

Und warum Querschnittlähmung?

Das war wohl eher Zufall. Mein Sohn ist in Bens Alter, und da wird man hellhöriger, wenn es um Unfälle junger Menschen mit schweren Folgen geht. Vielleicht haben mich auch Filme wie “Ein ganzes halbes Jahr” oder “Ziemlich beste Freunde” beeinflusst. Wobei ich einen dieser beiden Filme für sehr gelungen halte, der andere kommt aber meiner Meinung nach mit einer völlig falschen Botschaft rüber.

Wie ist das bei dir? Du hast sicherlich ein sehr kritisches Auge auf Spielfilme und Unterhaltungsliteratur, die sich mit dem Thema Behinderung befassen, das hast du ja schon angedeutet. Was denkst du über diese Art von Geschichten?

Ich denke, was die beiden genannten Filme angeht, sind wir einer Meinung. Einmal Klischeekitsch vom Feinsten und einmal eine wahre Geschichte von zwei Außenseitern, die zusammen ein tolles Team werden und sich gegenseitig voranbringen. Wobei der deutsche Titel mehr so naja ist. “Les Intouchables” im Original finde ich viel treffender.

Da gibt es glücklicherweise immer mehr gute Beispiele. Zuletzt hab ich auf Netflix “Margarita with a straw” gesehen. Da geht es um ein indisches Mädchen mit Cerebralparese, das in New York studieren möchte und dabei erwachsen wird. Auch toll: Inside I’m dancing und The Sessions. Deutsche Produktionen: Renn wenn du kannst, Einer bleibt sitzen. Leider nicht auf DVD erhältlich, weil schon älter und kein Mainstream: Born to Fly aus Schweden und The Waterdance aus USA. Bei Büchern fällt mir spontan nur “Die Vorstadtkrokodile” für Kinder ein und künftig eben dein Buch! 😉

Leider gibt es aber auch viele Geschichten, in denen Behindertenklischees ohne Ende geritten werden. Da stirbt der behinderte Partner am Ende oder tötet sich gar selbst, um dem nichtbehinderten (meist weiblichen) Partner ein vermeintlich “besseres” Leben zu ermöglichen. Oder die behinderte Figur kommt als Partner gar nicht erst in Frage, es sei denn eine Wunderheilung passiert.

In der Fernsehserie Bones wird das anhand der Figur von Jack Hodgins gut aufgegriffen (ich hab allerdings die letzte Staffel noch nicht gesehen). Bisher ist da von Wunderheilung nichts zu sehen und der Regisseur antwortete auf die Frage, wann die denn nun endlich käme ganz trocken: “Wir sind nicht Downton Abbey!” 😉

Trotzdem können sich die meisten Leute immer noch nicht vorstellen, dass man auch mit einer Behinderung (und nicht “trotz”) ein schönes Leben führen kann, statt rund um die Uhr darüber nachzudenken, was man alles nicht kann. Das kommt schon oft genug, wenn man wieder mal auf Barrieren trifft.

Ben macht das auch ganz schön souverän für sein Alter. Wie kommt es, dass er so abgeklärt ist?

Heike Wanner

 Weil er toll ist 🙂 Nein, ernsthaft: Ich wollte einen Roman MIT, aber nicht ÜBER Behinderung schreiben. Mir war bewusst, dass ich deshalb einige schwierigere Themen nur kurz anreißen konnte. Bens sicherlich sehr schmerzhafte Auseinandersetzung mit den Folgen seines Unfalls gehörte zu diesen Aspekten –  für mich ist das eine ganz andere Story. Eine, die ich mir aufgrund meiner fehlenden Erfahrung gar nicht zutraue.

Also habe ich Bens Charakter so angelegt, dass er seine Situation zu Beginn der Geschichte bereits akzeptiert hat. „You can’t stop the waves, but you can learn to surf“, ist sein Motto. Er macht das Beste draus, und das gelingt ihm ziemlich gut. Meistens jedenfalls.

Jetzt haben wir so viel übers Schreiben, über Filme und über Bücher geredet – hat dir das nicht Lust gemacht, selbst mal einen Roman zu schreiben? Falls ja, schwebt dir schon eine Geschichte vor?

Ach ja, die Lust hab ich immer wieder. Aber durch meine journalistische Ausbildung fällt mir das Schreiben von langen Texten sehr schwer. Ich bin gewohnt, möglichst auf den Punkt und in vorgegebene Artikelformate passend zu schreiben. Außerdem mag ich lange Ausschweifungen nicht. Meine Stärke liegt eher in Situationskomik und Dialogen. Darauf meinte Kai kürzlich, dass ich dann genau das als Stilmittel nutzen solle, und regte mich an, wieder etwas Längeres zu schreiben. Das ist aber noch ganz in den Anfängen und ich tu mich mit dem regelmäßigen Schreiben echt schwer. Bei Sachbüchern, wie ich sie früher geschrieben habe, war das leichter, weil ich da ja nichts erfinden musste, sondern einfach etwas abarbeiten konnte.

Hast du feste Schreibzeiten oder Vorgehensweisen? Ich dachte z.B. immer, dass man bei einem Roman die komplette Geschichte im Kopf haben sollte, bevor man zu schreiben anfängt, und dass man den Text dann von vorn nach hinten fortlaufend aufschreibt. Als ich dann in Manuskripten von anderen las, fiel mir auf, dass die gar nicht fortlaufend sind, sondern zwischendrin öfter mal ein Stück fehlt. Einige erzählten mir dann, dass sie die Story nur so ungefähr vorplanen und sie sich dann beim Schreiben entwickelt. Meine Lieblingsautorin Cathleen Schine z.B. plant sogar möglichst wenig, weil ihr das Buchschreiben sonst zu langweilig wird. Am Ende ist mein Roman von damals daran gescheitert, dass ich alles ganz literaturwissenschaftlich in Handlungssträngen vorgeplant hatte?

Wie machst du das?

Heike Wanner

Ich schreibe teilzeit, da ich ja noch einen Bürojob habe.

Von Montag bis Mittwoch sitze ich im Großraumbüro am Flughafen, und von Donnerstag bis Sonntag hocke ich an meinem Schreibtisch im Dachgeschoss unseres Hauses und arbeite an meinen Büchern.

Die ungefähre Story habe ich dabei immer schon vorher entworfen, aber die Ausgestaltung der Geschichte passiert erst während des Schreibens. Da kommt es dann auch mal vor, dass Dinge geschehen, die ich gar nicht geplant hatte. Oder Personen entwickeln ein Eigenleben, mit denen ich gar nicht gerechnet hatte. Oft habe ich auch plötzlich Szenen im Kopf, die noch gar nicht zur Handlung passen, die aber unbedingt geschrieben werden wollen. Dann mache ich das auch und schaue nachher, wo ich sie am besten unterbringen kann.

Auch das Ende schreibe ich meistens schon mittendrin. Keine Ahnung, warum. Vielleicht muss ich mich ja beim Schreiben von weniger schönen Szenen selbst trösten, so nach dem Motto: “Am Ende wird alles wieder gut – und wenn es nicht gut wird, dann ist es nicht das Ende!”

Das ist doch ein gutes Schlusswort! 🙂 Ich danke dir für das schöne Gespräch und wünsche Ben und Nika viele Leser!


Heike Wanner

Über meine Gesprächspartnerin: Heike Wanner schreibt seit 2008 heitere Frauenromane. Mit „Weibersommer” gelang ihr der Sprung in die Spiegel-Bestsellerliste. “Du+Ich=Liebe” ist ihr erster Jugendroman. Sie lebt mit ihrer Familie in der Nähe von Wiesbaden.

Foto von Heike Wanner ©Marion Hirschfelder


Cover von Du+ich=Liebe

Heike Wanner
Du + Ich = Liebe
Edel Elements 2017

eBook
ISBN: 978-3-95530-959-6
Mehr dazu auf der Verlagsseite

Print nur via amazon

Im Anhang des Buches gibt es übrigens noch ein Interview mit mir, das auch hier im Blog nachgelesen werden kann. 😉

Disclaimer: Meine Begleitung bei diesem Roman erfolgte kostenlos, da mir das Thema sehr am Herzen liegt. Auch an diesem Artikel verdien ich nichts und wurde weder vom Autor noch vom Verlag oder sonst jemandem dazu aufgefordert, ihn zu veröffentlichen. Wenn ich hier im Blog etwas empfehle, dann weil ich eine Geschichte dazu zu erzählen habe. Ich veröffentliche grundsätzlich keine bezahlten Beiträge.


Diesen Beitrag weitersagen:

4 Antworten auf „You can learn to surf – Bloggespräch mit Heike Wanner“

Weil das Thema Fernsehserien angesprochen wurde: in meiner Kindheit (1994) gab es eine tolle, aber unbekannte Fernsehserie für Kinder, in der auch eine Rollifahrerin mit dem Spitznamen „Professor“ dabei war. Sie fand ich damals total cool.
Der deutsche Titel war „Die Turbokids“ (http://www.rictv.de/die-turbokids/), der französische Originaltitel „Les Pastagums“ & anscheinend gab es in Frankreich auch eine Buchreihe dazu.

Liebe Annette, liebe Heike, danke für dieses tiefgründige Gespräch!

Ich lese gerade zum zweiten Mal (!) einen Krimi, weil ich das gehörlose Mädchen ebenso überaus faszinierend dargestellt finde wie den Handlungsort Alaska im tiefsten Winter.
Rosamund Lupton, Lautlose Nacht, deutsche Erstausgabe dtv 2016, 2. Aufl. 2017

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