Heute beantwortet Maxim Loick, den wir über D64 kennengelernt haben unsere Fragen zu seinem Leben mit den digitalen Möglichkeiten:
Bitte stelle Dich kurz vor (Name, Ort, Website/Blog, wichtigste drei Social-Media-Profile)
- Maxim Loick, 40 Jahre alt, verheiratet mit @frau_ratte, zwei Kinder (s und S).
- mein Blog findet sich unter www.loick.de/blog
- @Pausanias bei Twitter, https://www.facebook.com/maxim.loick bei Facebook
Was motiviert Dich dazu, an der Reihe teilzunehmen?
Ich möchte gerne meine Ideen und Gedanken teilen. Und vielleicht mag ja auch wer zu D64 und/oder zum AK Digitale Gesellschaft der SPD Bonn kommen?
Wie digital ist Dein Leben derzeit und wie hat es sich dahin entwickelt?
Digitale Technologie ist ein selbstverständlicher Begleiter geworden. Es gibt für mich keine Trennung mehr zwischen online und offline. Online, das sind vor allem Menschen, mit denen ich kommuniziere, darunter sind ganz viele, die ich ohne Social Media nie kennengelernt hätte und mit denen ich weite Teile meines Lebens verbringe. Das sind die vielen coolen Menschen von D64 zum Beispiel, das sind private Verbindungen, die sich ergeben haben, nach Köln, nach Berlin, nach Hamburg. Ich würde mein Leben nicht als digital bezeichnen, denn es ist einfach mein Leben und digitale Technologien ermöglichen mir viele Dinge, die ich sonst nicht tun könnte.
Was findest Du besonders interessant und spannend an der Digitalisierung?
Es klingt wie eine abgeschmackte alte Phrase, aber dennoch entspricht es meiner Wahrnehmung: Es gibt ganz neue Möglichkeiten. Wir schreiben z. B. den D64-Ticker mit fünf Personen und stimmen uns zu 99,9% rein digital ab. Wir haben keine Redaktionsräume, keine Redaktionssitzungen, wir telefonieren noch nicht mal miteinander. Wir haben einzig eine Facebook-Gruppe, eine gemeinsame Evernote-Liste und ein paar Google-Docs. Wir haben das nicht geplant, wir haben das einfach gemacht, mit den Tools, die allen frei zur Verfügung stehen. Und wenn auch Facebook und Google unsere Daten haben – morgen früh im Ticker kann’s eh jede*r lesen.
Ich finde das Aufbrechen von Hierarchien im Netz äußerst angenehm. Es hat sich daraus eine Gesprächskultur entwickelt, die sehr stark an der Sache orientiert ist. Wenn jemandes Meinung schwerer wiegt, dann in der Regel deswegen, weil der/diejenige auf dem jeweiligen Gebiet besonders gut informiert ist. Das klassische „ich trau mich nicht den oder die anzusprechen, weil er/sie immerhin Chef*in von irgendwas ist“ fehlt im digitalen Raum weitgehend. Das löst viele Blockaden, die übrigens nicht immer von denen ausgehen, die im klassischen Bild die Chef*innen sind.
Ohne digitale Tools könnte ich mein Leben, so wie ich es mit @frau_ratte und den Kindern organisiere, nicht führen. Zentral sind unsere gemeinsam genutzten Google-Kalender. Was da drin steht, ist gesetzt. Seitdem haben wir erheblich weniger Streit und Abstimmungsstress über Termine. Jeder neue Termin kommt via Smartphone direkt dort rein und kann von allen Beteiligten (also @frau_ratte und mir in diesem Fall) sofort eingesehen werden. Oder es steht dort bereits ein anderer Termin, dann weiß ich sofort, dass ich da nicht kann und kann gleich einen Alternativtermin vorschlagen. Das ist wirklich toll.
Was findest Du bedenklich am Umgang mit der Digitalisierung?
Die großen Player haben inzwischen einen Status erreicht, den ich im beruflichen Zusammenhang als „businesskritisch“ bezeichnen würde. Facebook und Google sind die Betreiber von Services, die inzwischen elementar geworden sind. Damit fällt diesen Privatunternehmen eine Machtstellung zu, die u. U. bedenklich ist, das geht ja inzwischen so weit, dass die demokratisch legitimierte Politik wie ein Bittsteller an Mark Zuckerberg herantreten muss, um gegen Hass-Parolen vorzugehen. Und in seiner unendlichen Güte hat Herr Zuckerberg dann gesagt: „Mal gucken.“ Wir haben nicht verstanden, dass der digitale Austausch, die digitale Kommunikation, Grundlage für das Leben sein wird (bei mir schon ist) und dass es schwierige Fragen aufwirft, wenn diese elementare Grundversorgung von privaten Unternehmen geleistet wird.
Das Thema „Gute Daten, böse Daten“: Wir stehen hier tatsächlich erst ganz am Anfang. Bei manchen Daten fällt es uns leicht, sie preiszugeben, bei anderen nicht. Wir wissen nicht einmal genau, welche Daten-Arten es eigentlich so gibt, wir wissen nicht, welche Hebel/Mechanismen das Moment ausmachen, das es uns unangenehm macht. Wir sprechen derzeit noch viel zu monolithisch über „die Daten“, ich vermute aber, dass wir „die Daten“ dringend einmal ausdifferenzieren müssen.
Entsolidarisierung: Was das Arbeitsleben angeht, begünstigen digitale Technologien eine weitere Indiviualisierung der Arbeit, was zunächst mal für den/die einzelne*n sehr angenehm ist, denn ich kann so arbeiten, wie es in mein Leben passt. Das birgt aber auch das Risiko, dass wir alle zu Einzelkämpfer*innen werden, Peter Wippermann hat auf der D64-Superklausurtagung von einem neuen „Serviceproletariat“ gesprochen. Wir werden also viele Einzelpersonen haben, die unter denselben Mechanismen leiden, sich aber bisher nicht zusammentun können, die keine Lobby und keine Gewerkschaft haben, für die die Sozialversicherungssysteme zu starr sind.
Die Digitalisierung wird unausweichlich viele viele Jobs wegrationalisieren. Wir werden absehbar keine LKW-Fahrer*innen mehr brauchen, wir werden keine Lagerarbeiter*innen mehr brauchen. Das sind einerseits Jobs, die nun nicht wirklich als Erfüllung eines Lebenstraums zu bezeichnen sind, die aber andererseits genau einen Zweck erfüllen: Sie sichern die materielle Lebensgrundlage der Beschäftigten. Nun hat die Industriealisierung tausende Arbeitsplätze in der Landwirtschaft gekostet – und sie durch neue Arbeitsplätze in den Fabriken ersetzt. Mir ist durchaus etwas mulmig dabei, denn im Moment sehe ich keine „neuen Fabrikarbeitsplätze“, in denen dann Millionen Menschen beschäftigt sein werden.
Was glaubst Du, wie sich die Digitalisierung weiter entwickeln wird?
Wir werden uns auf kurz oder lang von den Bildschirmen entfernen. Irgendwann wird es etwas geben, was das Smartphone ersetzen wird, wahrscheinlich wird das kein einzelnes Device sein, sondern die vielen Einzelfunktionen des Smartphones werden in die Bereiche, in denen sie gebraucht werden, vollintegriert.
Können diejenigen mit dem Thema Digitalisierung versöhnt werden, die sich von ihr bedroht fühlen?
Ja. Das müssen sie auch. Wir müssen dazu aber anders über Digitalisierung sprechen. Im Moment sind alle Diskussionen immer der große Eimer, in dem alles drin ist. Die Panels und Veranstaltungen sind „Digitalisierung und Politik“ oder „Digitalisierung und Gesellschaft“ überschrieben, mit der Folge, dass man in einer Stunde oder zwei mit einem Parforceritt durch alle Bereiche jedes Thema nur kurz streifen kann. Wir müssen unsere Diskussionen spitzer führen. Wir müssen „das Smartphone“ in diesen Diskussionen in seine Einzelfunktionen zerlegen, wir müssen eher darüber sprechen, wie z. B. News und journalistische Inhalte an die Menschen getragen werden (nämlich via Smartphone) und uns dann auf dieses Thema beschränken. Wenn wir in den Dikussionen immer versuchen, alle Aspekte auf einmal zu klären, werden wir nur ungute diffuse Gefühle hinterlassen.
Wie kann man die Menschen dazu bringen, sich mit dem Thema Digitalisierung aktiv auseinander zu setzen?
Durch das Diskutieren von konkreten Problemen und deren Lösung durch digitale Technologien. Komischerweise haben ja die Älteren überhaupt kein Problem mit Skype, denn das kennen viele aus ihrem Alltag, wenn sie mit den Enkeln in Übersee telefonieren. Da ist Technologie so weit in den Hintergrund getreten, dass die gar nicht mehr wahrgenommen wird, der Fokus liegt voll auf dem Gespräch mit der/dem Enkel*in. Die Anwendung ist derart niedrigschwellig, dass kaum Berührungsängste entstehen. Das könnte auch für viele anderen Anwendungsfälle gelten. Ich glaube, wir müssen diese Anwendungsfälle deutlicher vorführen.
Viele haben noch nicht begriffen, dass digitale Kommunikation neue Kulturtechniken hervorbringt. Die Sprache, die sich auf Twitter entwickelt hat, ist alles andere als eine verkürzte Verblödung, sondern hochkomplex und stark kontextbezogen. Auch Techniken wir Emoticons und der Hashtag als Stilmittel sind hochspannende neue Entwicklungen in der nichtgesprochenen, sondern textlich übermittelten Sprache. Das müssen wir vermitteln, diese Sprache macht wahnsinnig Spaß.
Gibt es noch etwas, das Du schon immer zum Thema Digitalisierung sagen wolltest?
Meine Kinder spielen im Wald, auf Spielplätzen und auf dem Tab. Sie gehen in eine Schule, die im wesentlichen auf den Prinzipien des 19. Jahrhunderts aufgebaut ist. Das ist m. E. das schlimmste Versäumnis von allen, die Digitalisierung ist dabei nur ein Aspekt. Im Alter von 10 Jahren wird in unserem 3-gliedrigen Schulsystem eine soziale Selektion übelsten Ausmaßes vorgenommen und alle finden’s toll, weil die, die es aufs Gymnasium schaffen, froh sind, das sie dabei sind, und die, die es nicht dorthin schaffen, sich für so minderbemittelt halten, dass sie sich nicht trauen, dagegen zu rebellieren. Alle Untersuchungen der letzten Jahre zeigen, dass kein Schulsystem weltweit wenige sozial durchlässig ist als das deutsche, dennoch sind es ausgerechnet verstärkt die Eltern, die dieses System weiter zementieren. Wenn jetzt auch noch die starken Veränderungen der Digitalisierung dazukommen, gehen alle Rolltore runter und es wird geblockt, zur Seite gedrängt und auf zwielichtige Hirnforschungsergebnisse verwiesen. Das kotzt mich regelrecht an.
Auch hier müssen wir diesen riesigen und damit überwältigenden Block kleinpicken. Was soll die Rolle von Lehrenden in Zukunft sein? Die Vermittlung von Wissen kann das Internet besser, wenn es zum Beispiel ein Youtube-Video gibt, in dem genau eine Person die binomischen Formeln so erklärt, dass alle sie gleich verstehen, warum müssen dann hunderttausende Lehrer*innen in abgeschlossenen Klassenräumen erneut versuchen, das ganze nochmal zu machen, für eine Gruppe von 25 Schüler*innen? Das ist absurd. Müssen Lehrende nicht vielmehr die geistige Beweglichkeit von Kindern fördern? Also vermitteln, dass Antworten auf viele Fragen sehr volatil sein können, dass Antworten vielleicht eine begrenzte Gültigkeit haben können und sowas? Müssen Lehrende nicht darauf hinwirken, dass Lernende sich zusammentun müssen, um Probleme zu lösen – und dass man dazu vor allem eins braucht: soziale Kompetenzen. Oder noch ein Beispiel: Warum müssen wir in Abiturprüfungen die Lernenden künstlich vom Wissen der Welt aka „das Internet“ fernhalten, warum empfinden wir das als mogeln, wenn jemand auf dem Klo schnell mal was googelt? Sollten wir nicht vielmehr allen Lernenden die Kompetenzen vermitteln, wie man mit dem Internet möglichst schnell Antworten findet? Eine Abiturprüfung, die ich mit zwei Minuten googeln lösen kann, ist nichtig, sowas braucht niemand.
Vielen Dank für Deine spannenden Antworten, Maxim! 🙂
Dies ist mein persönliches Blog, auf dem ich alle meine vorherigen Websites zusammengefasst habe. Daher die buntegemischten Themen: Ich führe Bloggespräche und blogge über Persönliches, Digitales und Kulturelles. Ich liebe es, Menschen zu fotografieren und mich mit Kunst zu beschäftigen. Manchmal schreibe ich auch noch was anderes als Blogbeiträge. Für andere bin ich als Wegbegleiterin in Sachen Kommunikation aktiv. Vor allem bin ich aber eins: Ein Mensch!